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von Dieter Daniels |
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Alles was wir heute elektronische Massenmedien nennen, beginnt mit dem Senden und Empfangen von Signalen ohne materielle Verbindung, mit dem Wunder des "wireless" kurz vor 1900. Aus dieser meist strategisch-militärisch eingesetzten Funktechnik entsteht ab 1920 das Radio. Damit verschwinden die Dinge aus der Massenverbreitung und Medien werden zu etwas "Immateriellem". Die Gleichheit aller Dinge für alle Menschen aufgrund der Industrialisierung, wie sie "ready-made" als lexikalischer Begriff ausdrückt, ist nur die Vorstufe der globalen Synchronisierung der Wahrnehmung einer "radio-made" Erlebniswelt. Mit dem Greenwich-Zeitzeichen, dass seit 1912 per Funk von der Spitze des Eiffelturms ausgestrahlt wird, erreicht diese materielose Synchronisierung ganz Europa und schon ein Jahr später wird ein Zeitzeichen rund um die Welt durch ein Kette drahtloser Stationen übertragen.
"Radio" ist kein Wort sondern nur ein Vorsilbe. Sie bezeichnet etwas, das radial ausstrahlt: von einem Punkt an alle, so wie die elektromagnetischen Wellen. Funk soll dem Willen seiner Erfinder nach vor allem der Signalübermittlung von einem Sender zu einem einzigen Empfänger dienen. Doch die hertzschen Wellen liessen sich trotz aller Anstrengungen nicht in das Schema der Draht-Verbindung pressen, jedes Signal erreichte immer mehr Empfänger als es erreichen sollte. Deshalb trifft es auf die Sorge der Militärs um die Geheimhaltung ihrer Funksprüche. Doch ebenso trifft es auf die Freude der Funkamateure, die lange bevor es Radioprogramme gibt, mit selbst gebauten Apparaten allem hingebungsvoll lauschen, was sie aus dem sogenannten Äther fischen können. Diese Bastler und Amateure bilden die Basis des ab 1920 unerwartet einsetzenden Radio-Booms, der ein Medium entstehen lässt, das niemand geplant hat. Dies wiederholt sich, wenn in den 1980er Jahren die Hacker als erste private Nutzer des globalen Computer- und Telekommunkationsnetzes die Vorboten des Internet-Booms der 1990er sind. Tatsächlich wird das Radio, und damit der Beginn aller elektronischen Massenmedien, von den Empfängern, nicht von den Sendern erfunden. "Ce sont les récepteurs, qui font les médias" liesse sich frei nach Duchamp sagen. Und obwohl scheinbar die Senderseite heute die alleinige Macht über die Massenmedien hat, gibt es einen fast anarchischen Kern auf dem alles beruht und in dem sich die Macht der Empfänger erhalten hat: "In TV rating is everything."
Wie konnte die Macht der Empfänger so gross sein, den ganze Medienapparat von einem strategischen zu einem distributiven System umzustülpen ? Welche Faszination steht am Beginn dessen, was heute das elektronische Weltbild ausmacht? Zunächst ist da die "bricolage", das Basteln mit ominösen Elementen wie Draht, Lack, Magneten, Kristallen usw. das unter den eigenen Händen einen Apparat entstehen lässt, der aus dem Nichts des Äthers rätselhafte Signale hervorholt. Das erste Rätsel liegt darin, wie Etwas aus Nichts entsteht, und dieses Etwas mit dem ganzen Rest der Welt vielfach verbunden ist. Denn zweitens sind da die Signale, sie künden von fernen Ereignissen, von Temperaturwerten oder Börsenkursen, anderern Amateuren und manchmal sogar von Sensationen wie das S.O.S Signal eines Schiffes in Seenot. Die Macht der Empfänger liegt in der Erfindung des Hörens - erst waren die Hörer da, dann kamen Sender dazu, die sich nun auch an diese unbekannte, verstreute Gemeinde richteten, dann wurde ein Radio-Boom daraus, der dem heutigen Internet-Boom völlig vergleichbar ist. In den ersten Radiojahren beschreiben und erleben die Hörer das Empfangen noch als globalen Rausch eines Lauschens in unermessliche Weiten.
"... heimisch zu werden, im Wogenden, in der Bewegung, im Flüchtigen und Unendlichen. Nicht zu Hause zu sein und sich überall zu Hause zu fühlen; die Welt zu sehen, im Mittelpunkt der Welt zu sein und der Welt verborgen zu bleiben," diese Worte können vielleicht als Beschreibung des Hörererlebnisses dienen, das von den Zeiten der Funkamateure bis zu den Anfängen des Radios so fasziniert. Sie stammen jedoch von Charles Baudelaire und schildern das Erlebnis des Flaneurs in der anonymen Masse der modernen Metropole, er "zieht aus dieser universellen Kommunion eine einzigartige Trunkenheit."(1) Der Dichter als ein besonders sensibler Empfänger, der indem er dichtet, seinerseits zum Sender wird. Er überbrückt dabei die Jahrhunderte, wie es Baudelaires marines Bild der "Leuchttürme" zeigt, die sich als Geistesgrössen durch die Epochen Signale zusenden. Wenn nun aus der "universellen communion" eine universellen Kommunikation würde? Baudelaire trifft Baudrillard, wohl oft genug, Rücken an Rücken, auf den Regalbrettern einer gut sortierten Hausbibliothek. Doch jenseits aller alphabetischen Aliteration, treffen sich Vorahnung und Abgesang auf die Macht der Sender, wenn Baudrillard im "Requiem für die Medien" schreibt: "In einer symbolischen Tauschbeziehung gibt es simultane Antworten, es gibt auf beiden Seiten weder Sender noch Empfänger von Botschaften, es gibt auch keine 'Botschaft' mehr ... Der Empfänger (der in Wirklichkeit keiner mehr ist) nimmt dabei einen Eingriff in das Wesentliche vor ... ", eine "subversive Lektüre". (2) Genau eine solche Subversion der Macht des Senders durch den Empfänger unternimmt "Imaginary Landscape No. 4" von John Cage schon 20 Jahre zuvor: 12 Radios werden durch 24 Ausführende von Empfangs- zu Produktions-Apparaten umgenutzt, ähnliches wiederfährt zuvor schon Schallplatten-Apparaten in "Immaginary Landscape No.1" von 1939. Diese Umwidmung der Reproduktionstechnik zur Quelle permanenter Originalitäts-Produktion ist in der Ära der Techno-DJs alltäglicher Teil der Massenunterhaltung. "Wie kam Ihnen Anfang der 50er Jahre die Idee, das Radio als Musikinstrument einzusetzen?" wird Cage gefragt. "Ich stellte fest, dass ich das Radio nicht mochte und dass ich fähig sein würde, es zu mögen, wenn ich es für meine Arbeit verwendete. Das ist dieselbe Art zu denken, die wir den Höhlenbewohnern zuschreiben, die furchteinflössende Tiere auf ihre Wände malten - indem sie sie abbildeten, überwanden sie die Angst vor ihnen." (3) Warum malt jemand 1669 einen 10 Meter langen Wal in der Grösse 1 : 1 auf ein 10 Meter grosse Bild? Warum malt jemand über 10 Jahre an einem 2,7 mal 1,7 Meter grossen Bild auf Glas um es schliesslich doch unvollendet zurückzulassen? (4) In Herman Melvilles "Moby Dick" lauert die Gefahr in der Tiefe - der Seele und des Meeres - und beide treffen so dramatisch aufeinander, dass ein Welterfolg daraus wird. Hingegen handelt Melvilles fast unbekannte phantastische Erzählung "The Paradise of Bachelors and the Tartarus of Maids" von 1852 in einer seltsamen Welt mit neun Junggesellen und einer von einsamen, frierenden Jungfrauen bedienten grossen Maschine, die aus alter Kleidung eine Art spermatozoide Flüssigkeit herstellt. Wie Jean Suquet festgestellt hat, enthält die Erzählung damit "bis hin zur Übereinstimmung von Namen und Zahlen" ein Pendant zu der "Junggesellenmaschine" in Grossem Glas, obwohl Duchamp mit Sicherheit nie Melville gelesen hat. (5) Es mag fast selbstverständlich erscheinen, dass alle Funkamateure und Computerhacker des 20. Jahrhunderts strikte Junggesellen sind, also "Amateure", d.h. Liebhaber im eigentlichen Sinne, die bereits durch die Tatsache irritiert werden, dass mit der Ausweitung ihrer Domäne zu einem Massenpublikum nun auch möglicherweise Frauen im Äther bzw. im Internet vertreten sind. Die zuvor zölibatäre Reinheit der Technik wird dadurch ja auch bekanntermassen geopfert für einen Tummelplatz media-erotomanischer Verwechslungsspiele, die eben auf der technischen Distanz-Nähe Ambivalenz beruhen.
Vielleicht wäre das Ziel all dieser Liebhaber gegenüber ihrem Medium also Paiks "Danger Music"(6) für Dick Higgins vergleichbar: in die Vagina eines lebenden weiblichen Wals zu kriechen, um also ganz in etwas aufzugehen, dass sie von dem Rest der Welt abschliesst - das also, ohne dass es explizit sexuell wäre, dennoch die pränatale völlige Aufgehobenheit in einer künstlich-natürlichen Welt wiederherstellt ? Doch es gibt kein Entkommen mehr: per Ultraschall werden der Embryo im Mutterleib und der Wal in der Tiefsee sichtbar - die Technik dringt in die Bereiche vor, die bisher als Ort des Unwissbaren und deshalb auch des Unbewussten galten. Im Grossen Glas stehen die Junggesellen und die Braut, getrennt durch einen durchsichtigen Horizont, über "wireless" miteinander in Verbindung. (7) Die Medientechnik durchbricht den Horizont zwischen den unvereinbaren Welten - so wie in Grandvilles enigmatischem Holzschnitt von 1849, wo ein Brief auf einem Spiralkabel aus den Tiefen des Meeres emporschnellt und so dem Wunder der ersten Untersee-Telegrafiekabel Referenz erweist. (8)
Sollte es ein Zufall sein, dass zwei im Alltagsdenken zuvor unvorstellbare, da materiell nicht fassbare Bereiche in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts fast synchron erforscht werden: die drahtlose Funktechnik und die Psychoanalyse ? Beide sind die letzten grossen Gaben des 19. an das 20. Jahrhundert, in dem sie ihre enorme Wirkung entfalten. Beide haben zu einer neuen Form von nicht-dialogischer Einwegsprache geführt, die strikt "Sender" auf der einen und "Empfänger" auf der anderen Seite von Couch bzw. Mikrophon trennt. Der Redefluss nimmt dabei jeweils die Form eines "automatischen" Sprechens an. Dies haben dann die Surealisten in der "écriture automatique" gefasst, die aber ihrerseits auf der "immaginazione senza fili" der Futuristen beruht, einem ebenso syntaxlosen und interpunktionslosen Sprachfluss. Entscheidender Unterschied ist, dass den letzteren die elektronische, drahtlose hingegen den ersteren die psychologische Technik als Vorbild dient. In der ebenso libdinösen wie immateriellen "wireless" Verbindung von Junggesellen und Braut des Grossen Glases wirken hingegen beide "Techniken" zusammen. Wie U-Boot-Fahrer im Unbewussten senden die Junggesellen aller Zeiten und aller Medien mit ihren Maschinen Signale aus, ohne selbst zu wissen, dass sie damit versuchen, eine Braut zu erreichen. Dabei sind sie strategisch ebenso hilflos wie das U-Boot von Cages Vater, der Erfinder war und den er ohne Zögern mit Duchamp als "bricoleur" verglich.(9) Im 1. Weltkrieg konnte es nicht zum Einsatz kommen, da es durch aufsteigende Blasen immer zu entdecken war. ".... and bubbles on surface" heisst es deshalb bei Cage immer wieder. So steht es um das Unterbewusste, das es nicht gibt, das aber als gesunkenes Kulturgut auf dem Boden des common sense lauert, wo wir es durch die Blasen an der Oberfläche der Medien entdecken können. (10) Die letzten Abenteuer in einer allzubekannten Welt lauern auf den Surfer heute in den Tiefen des Internets. Abtauchen in die Wellen der Informationsflut so wie sich schon der Funkamateur in den globalen Ätherwellen verlor. Auftauchen nur ab und an, um in der Welt der "ready-made" Waren das nötigste zum Überleben mitzunehmen. (11) So wie das immergleiche Ding der Warenwelt erst in seiner Umkehrung als "Ready-Made" durch eine Pseudo-Individualität sichtbar wird, so wird die Welt des "radio-made" erst durch die zufällige Selektion eines Signals aus der Masse vom Rauschen ablösbar. Herstellen und abstellen als Grundschema aller Warenproduktion sind seit dem Ready-made ebenso suspekt geworden wie Senden und Empfangen als Schema aller Medientechnik seit Cages "Immaginary Landscape No. 4". Ihm folgen George Brechts "Candle piece for Radios" und sein Konzept des "listener as virtuoso". (12) Doch werden nicht sogar die Gesänge
der Wale aufgenommen, als seien das auch für uns Menschen verschlüsselte
Botschaften? Wo etwas gesendet wird, denkt der Mensch, es sei für ihn.(13)
Das spiritistische Medium des Okkultismus ist zwar von der Technik des "wireless" mit inspiriert, doch es fasst Sender und Empfänger im vortechnischen Glauben zusammen zu einer Psychotechnik des Glaubenmachens. (14) Künstler dürfen sich ohne Verlust an Glaubwürdigkeit über die scheinbar in der Technik festgeschriebene Differenz von Sender und Empfänger hinwegsetzen, daher ihre laut Duchamp "mediale Rolle" durch die der Wert eines Werkes "unabhängig von den rationalen Erklärungen des Künstlers" besteht. "In summa ist der Künstler nicht der einzige, der den Schöpfungsakt vollzieht; denn der Betrachter stellt den Kontakt des Werkes mit der Umwelt her, indem er seine tieferen Eigenschaften entziffert und deutet und dadurch seinen Beitrag zum schöpferischen Prozess liefert." (15) Das Kunstwerk trifft den Betrachter wie das Signal den Hörer oder wie das Echolot den Wal.
notes
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