Es ist Robert Lebel als grosse Weitsicht zuzuschreiben, dass er bereits 1959 in seinen Werkkatalog zu Duchamp die drei in den 1940er Jahren unter Leitung von Duchamp entstandenen Schaufenster aufnahm (1). Ein viertes entstand 1960–ganz passend–anlässlich der Veröffentlichung von Lebels Monographie. Gleichwohl steht eine ausführliche Auseinandersetzung, wie sie vielen anderen vermeintlich marginalen Werken Marcel Duchamps besonders seit den 1990er Jahren zuteil geworden ist, bezüglich dieser Arbeiten noch am Anfang (2). Ein Blick auf die stetig wachsende Duchamp-Literatur lässt vermuten, dass dieser Zustand nicht sehr viel länger anhalten wird. In den folgenden Ausführungen wird versucht, anhand einiger speziell auf Schaufenster bezogener Aussagen Duchamps selbst und anhand der Analyse der insgesamt vier Schaufenster, die unter Anleitung Duchamps entstanden sind, ein genaueres Verständnis davon zu erlangen, warum sich dieser oftmals in der Kunstgeschichtsschreibung als elitär verstandene Künstler einem scheinbar so profanen Medium widmete.
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Abb. 1
D.F.: Konfisserie E. Gamelin, Rouen,
Rd., ca. 1900, Bibliothèque Municipal
Rouen. Aus: Ausst.-Kat.
Joseph Cornell/ Marcel Duchamp .
. . in Resonance. Philadelphia
Museum of Art, Ostfildern
Abb. 2
Duchamp, Marcel: La
Mariée Mise à Nu Par Ses
Célibataires, Même
(Das Grosse Glas), 1915-23, Öl,
Blei, Folie, Bleidraht
und Staub zwischen zwei Glasscheiben,
277,5×175,8cm (inkl.),
Philadelphia Museum of Art, Katherine S.
Dreier Bequest, 1953,
S. 361. Aus: Arturo Schwarz,
The Complete Works of Marcel
Duchamp (3. überarb. und erw. Aufl.),
New York 2000, S.361.
Als erste fruchtbare Periode in Duchamps Werk werden allgemein die Jahre 1911 bis 1913 angesehen. Damals entstanden die letzten Gemälde, die ersten Ideen zum GrossenGlas und eine Reihe Notizen, die teilweise erst in Bezug auf spätere Werke Bedeutung erlangen würden. Für das Jahr 1913 ist überliefert, Duchamp sei bei einem Spaziergang durch Rouen beim Blick in das Schaufenster des Konfektionärs Gamelin auf eine Schokoladenmühle aufmerksam geworden. Das Schaufenster ist in einem Stich überliefert (Abb. 1) (3). Rückblickend sagte Duchamp von der Entdeckung der Schokoladenmühle: “Das war tatsächlich ein sehr wichtiger Moment in meinem Leben. Ich musste damals grundlegende Entscheidungen treffen” (4). Mit dem Motiv der Schokoladenmühle verband Duchamp seine stilistische Loslösung vom Kubismus und eine Hinwendung zu “architektonischer, trockener Ausführung”, einer Methode, die Hand-Schrift des Künstlers ausschliessen sollte (5). Vielleicht war dies der Moment, als Duchamp beschloss, er wolle lieber “Fenstermacher” (Fenêtrier) als Maler sein (6). Die Begegnung mit der Schokoladenmühle im Schaufenster war darüber hinaus von Bedeutung für den Künstler, weil sie ihn veranlasste, dieses Gerät als ein zentrales Motiv in sein erstes Hauptwerk, das Grosse Glas (1915-23), aufzunehmen (Abb. 2). Dort erhielt die Schokoladenmühle den Platz in der Mitte der unteren Scheibe neben den Junggesellen. In gewisser Weise ist sie also zurück in ein Schau-Fenster überführt worden, nachdem Duchamp sie zunächst aus dem Geschäftskontext gelöst hatte. In ihrer immer noch lesenswerten Analyse von Etant Donnés(1946-1966), Duchamps zweitem Hauptwerk, hatten bereits 1969 Anne d’Harnoncourt und Walter Hopps bemerkt:
Die Geschichte des Motivs der Schokoladenmühle unterstreicht die Deutung des Grossen Glases als Schaufenster, als Projektionsfläche von Waren und Gegenständen ‘dahinter’ (8)Duchamp selbst trug den kommerziellen Zusammenhang an die Schokoladenmühle wieder heran, indem er in seinen dem Glas zugesellten Notizen, der Grünen Schachtel, Bezug auf sie nahm. Dort sprach er zunächst die erotischen Aspekte an, die mit dem Rotieren und dem Genussmittel verbunden waren (“der Junggeselle zerreibt seine Schokolade selber”). Sowohl dem Mechanismus der Mühle, als auch der Betrachtung von Schaufensterauslagen wird damit eine mögliche auto-erotische Dimension zugeschrieben. Zudem beschreibt Duchamp die Mühle auch als Ware: “kommerzielle Formel, Fabrikmarke, kommerzielles Schlagwort wie eine Reklame auf ein kleines, bunt gefärbtes Glanzpapier geschrieben (ma ausführen lassen in einer Druckerei) xxx dieses Papier auf den Artikel ‘Schokoladenmühle’ geklebt” (9)Folglich überführte er die Mühle selbst in den Warenstatus (Article), wohingegen sie in dem Schaufenster des Konfektionärs noch das Produktionsmittel für die Ware gewesen war. Es ist Ausdruck der in Duchamps Werk häufig sichtbaren Ironie, dass es merkwürdigerweise die Übernahme des Motivs in das Kunstwerk war (nicht etwa seine im ersten Schritt erfolgte Isolation aus dem kommerziellen Zusammenhang), die diese Transformation der Schokoladenmühle bewirkte.
Auf das Jahr der Entstehung von Zeichnung und Gemälde zur Schokoladenmühle, 1913, hat Duchamp auch eine Notiz datiert, die Bezug nahm auf Schaufenster und etwas mehr über die Vorstellungen verrät, die Duchamp damit verband:
Die Frage der Schaufenster.
Das Verhör der Schaufenster über sich ergehen lassen.
Die Forderung des Schaufensters.
Das Schaufenster, Beweis der Existenz der äusseren Welt.
Wenn man das Verhör der Schaufenster über sich ergehen lässt, spricht man auch seine eigenes Urteil Verurteilung aus. Die Wahl ist tatsächlich hin und zurück. Aus dem Verlangen der Schaufenster, aus der unvermeidlichen Antwort auf die Schaufenster, beschliesst sich die Fixierung der Wahl. Keine Versessenheit ad absurdum, den Koitus durch eine Glasscheibe hindurch mit einem oder mehreren Objekten des Schaufensters verbergen zu wollen. Die Strafe besteht darin, die Scheibe zu durchschneiden und darüber Gewissensbisse zu haben, sobald die Besitznahme erfolgt ist. q.e.d. (10)
Diese Stelle wird in der Literatur zu Duchamp häufig zitiert, meist jedoch metaphorisch ausgedeutet oder auf das Grosse Glas bezogen (11). Eine kurze Besprechung des Textes für sich genommen scheint daher sinnvoll, um etwas über Duchamps frühe Haltung zu Schaufenstern herauszufinden.
Die Metaphorik des Textes war–das ist bisher unbemerkt geblieben–die einer Gerichtsverhandlung. Der Passant vor dem Schaufenster wurde nicht als passiver Beobachter beschrieben, sondern zugleich als Angeklagter, Anwalt, Richter und Verurteilter in einem juristischen Verfahren. Er wurde ins Verhör genommen, musste Beweise liefern, seine eigene Verurteilung aussprechen, eine Strafe auf sich nehmen. Das Schaufenster war zugleich Ankläger (Verhör), Beweismaterial (äussere Welt), Anlass des Verbrechens (Verlangen), Opfer (Koitus durch eine Glasscheibe) und Strafmittel (Gewissensbisse). Die Art des Vergehens schien sexueller Art zu sein, zugleich im Geschlechtsakt mit den Waren sowie in der Exhibition desselben zu bestehen. Das Schaufenster befreite den Passanten von der Pflicht, den Geschlechtsakt verbergen zu müssen. Es lud ihn zu offenem Verkehr ein, forderte ihn geradezu zu gewaltsamem Eindringen auf. Das Gesetz, auf den dieser Prozess sich stützte, so muss der Leser schliessen, deutete sich in einer Moral an, die unterschwellig mitschwang, die aber gerade durch den ersten Satz explizit “in Frage” gestellt wurde, und im letzten (quod erat demonstrandum) nach einer noch ausstehenden Begründung verlangte. Die Frage, die Schaufenster für Duchamp aufwarfen, lautete, wie diese Moral zu rechtfertigen sei, die Sexualität und auch das “Lecken an den Schaufenstern” (lécher les vitrines, so der französische Ausdruck für ‘Schaufensterbummeln’) zum Vergehen machte. Konnte die Begierde, die durch eine erotisch aufgeladene Ausstellung beim Betrachter ausgelöst wird–sei es im Schaufenster, sei es durch eine attraktive Frau, oder womöglich auch durch Kunst – verurteilt werden? Gerade die Ubiquität dieser Phänomene macht eine abfällige Moral fast absurd. Wenn Duchamp das Schaufenster als Metapher für erotisches Begehren verwendete, so betonte er damit die Allgegenwärtigkeit dieses Affekts: Er kann durch jeden Menschen und jedes Objekt hervorgerufen werden.
Eine Übertragung von Duchamps Szenario auf das Konsumverhalten angesichts von Warenauslagen liegt nahe. Herbert Molderings hat diesen Aspekt durch Analogie zu Walter Benjamin zugespitzt so formuliert: “Auch Duchamp sprach nicht zu den Waren, aber die Waren hatten begonnen, zu ihm zu sprechen” (12). In Duchamps Text wird der Passant angesichts der Waren hinter der Scheibe von dem Verlangen überfallen, diese zu besitzen und zu erwerben. Kaum hat der den Kauf-Akt vollzogen, überkommt ihn Reue. Doch selbst soweit diese Auslegung in Duchamps Sinn gewesen sein mag, unterliegt auch sie seinen Bedenken gegenüber landläufigen Moralvorstellungen. Duchamp war kein Moralist. Seine eigene Skepsis äusserte er nicht als Anklage, sondern wie in dem Schaufenster-Text von 1913 durch subtiles Infragestellen. Die Beispiele der von ihm gestalteten oder mitgestalteten Schaufenster belegen, dass seine Sichtweise auf Schaufenster sich nicht auf die Fragen nach Schuld, Verführung, Sühne beschränkte (Fragen, die sowohl auf Sexualität als auch auf Konsum angewendet werden können). Die ‘Befragung der Schaufenster’ durch Duchamp gestaltete sich vielschichtiger.
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Abb. 3
Duchamp, Marcel: Tür für Galerie
“Gradiva”, 1937, Paris, Photographie.
Aus: October, Jg. 69, 1994, S. 122.
Abb. 4
Duchamp, Marcel: Tür für
Galerie “Gradiva”, 1937, Paris, Photographie.
Aus: Arturo Schwarz, The Complete
Works of Marcel Duchamp
(3. überarb. und erw. Aufl.),
New York 2000, Nr. 455, S. 743a.
Eine erste Berührung mit der Gestaltung einer Ladenfront hatte Duchamp noch in Paris gehabt. Bei dem 1937 erteilten Auftrag für die Tür von Bretons Galerie Gradiva handelte es sich, wie bei allen späteren Schaufensteraufträgen, um einen Freundschaftsdienst Duchamps. Dies bedeutete jedoch keineswegs, dass er den Wünschen oder Vorstellungen seiner Freunde entsprach, auch wenn er ihnen auf den ersten Blick oftmals entgegenkam. Die Tür für die Galerie Gradiva wies diese künstlerische Autonomie auf, die Duchamp sich nicht nur für die ‘wichtigen’ Werke vorbehielt. Photographien der Tür zeigen eine Öffnung in Form einer Silhouette zweier eng zusammenstehender Personen (Abb. 3 und 4). Antje von Graevenitz hat diese Öffnung als Initiations-Passage gedeutet, mit der Besucher den Heilungsprozess von Jensens Protagonisten nachvollziehen solle (13). Breton selbst schrieb in Bezug auf den Namen ‘Gradiva’, er bedeute auch die, welche “die Schönheit von morgen [sehe], welche den meisten Menschen noch verborgen” bliebe (14). Das Eintreten in die Galerie, in der natürlich Kunst von Surrealisten ausgestellt war, sollte nach Bretons Vorstellung den Besucher dieser Schönheit näher bringen und – wie in Jensens Geschichte – einen Beitrag zum Aufdecken des seelisch Verborgenen beim Betrachter leisten.
Es gibt einige formale Hinweise, dass Duchamp mit seiner Tür andere Absichten verfolgte. Die in die Scheibe geschnittene Silhouette deutet zwei Personen an, wobei die grössere die kleinere zu dominieren, fast zu erdrücken scheint. Die beiden sind sehr nah aneinander gerückt, wobei es so aussieht, als lege die grössere der kleineren einen Arm um die Schulter und schaue die kleinere Figur an, die den Kopf etwas wegneigt (15). Wenn es sich hier also um ein Liebespaar handelte, dann stand das ungleiche Machtverhältnis ganz eindeutig im Vordergrund, und die Nähe der beiden, die in der Literatur (und vermutlich von Breton selbst) oft als Innigkeit gedeutet worden ist, war bei Duchamp eher eine Betonung dieses Missverhältnisses. Duchamp unterlief damit Bretons romantische Interpretation (ohne ihm offen zu widersprechen) und blieb zugleich näher an der Geschichte Jensens, denn hier unterwarf der Protagonist die geliebte Frau seinen Vorstellungen, liess sie zu einem Kunstobjekt (dem Relief) werden. Polemisch könnte man behaupten, gleiches geschehe in einer Galerie mit Kunst. Sie wird einem Massstab ausserhalb ihrer selbst, dem kommerziellen, unterworfen; sie wird die Gradiva im Sinne Duchamps: eine Ware. So gesehen war diese Tür als Warnung Duchamps an die Besucher zu verstehen, nicht die Sache selbst zu übersehen, nicht die Kunstwerke mit ihrem Warenwert zu verwechseln.
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Abb. 5
Duchamp,Marcel: Schaufenster für
La Part du Diable von Denis
de Rougemont, 3. Februar 1943, Brentano’s, Fifth Avenue New
York, Photographie. Aus: Arturo Schwarz,
The Complete Works of Marcel Duchamp
(3. überarb. und erw. Aufl.), New York
2000, Nr. 489, S. 768.
1943 übernahm der ‘Fenstermacher’ Duchamp in New York einen Auftrag für eine Schaufensterauslage (Abb. 5). Auch diesmal handelte es sich um einen Gefallen für einen Freund. Die von den Surrealisten bewunderte Schrift Der Anteil des Teufels von Denis de Rougemont war 1942 bei Brentano’s aufgelegt worden und sollte nun in einem Schaufenster der Filiale an der Fifth Avenue ausgestellt werden. Da Rougemont selbst keine Idee für die Auslage hatte, wandte er sich an Breton, der vorschlug, Duchamp zu konsultieren. Wie aus dem Tagebuch von Rougemont hervorgeht, riet dieser, “die Decke aus offenen, an den Griffen herabhängenden Regenschirmen zu machen” (16). Auf der Photographie sind die Regenschirme allerdings nicht zu sehen. Duchamp vergrösserte das von seinen Freunden geäusserte Unverständnis dieser Idee dadurch, dass er kryptisch hinzufügte: “Die Frauen werden es verstehen”(17). Die Idee mit den Regenschirmen unter der Decke war Duchamp bereits früher gekommen. Er hatte sie für die Surrealisten-Retrospektive 1938 in Paris verwenden wollen anstelle der Kohlesäcke, die dann tatsächlich zum Einsatz kamen. Regenschirme waren nach dem Bericht von Henri-Pierre Roché angesichts der schwierigen Wirtschaftslage damals nicht aufzutreiben gewesen (18). Duchamp scheint jedoch bereits in Paris aus seiner Idee kein Geheimnis gemacht zu haben, denn Salvador Dalí benutzte im folgenden Jahr Regenschirme in dieser Weise in seinem Pavillon Dream of Venus auf der New Yorker Weltausstellung (19). Hatte Duchamp folglich gemeint, die modebewussten New Yorker Frauen, die 1939 in Scharen zu Dalís Pavillon geströmt waren, um das Werk des surrealistischen Modepapstes zu bewundern, würden sich daran erinnern können? So sie es taten, musste ihnen Duchamp als Plagiator von Dalís Idee erscheinen – eine ironische Verkehrung der tatsächlichen Schuldigkeiten.
Für den Hintergrund des Schaufensters für Rougemonts Buch zeichnete Kurt Seligmann verantwortlich, der neben okkult anmutenden Graffiti auch die Tarotkarte XV abbildete, die ausser dem Bezug auf das Buch auch als Vorbote eines späteren Schaufensters (LazyHardware) gesehen werden kann, das ebenfalls unter der Ägide von Duchamp entstand. Ansonsten befanden sich noch zahlreiche exotische Skulpturen in der Auslage, die zwischen die ausgelegten Bücher gestellt waren. Mag sein, dass Breton die Abb.n in seinem New Yorker Lieblingsgeschäft, bei dem Antiquitätenhändler Julius Carlebach, entliehen hatte(20). Die Auslage zog trotz ihrer Exotik keine grössere Aufmerksamkeit auf sich (21). Keines der vier Schaufenster, an deren Erstellung Duchamp Teil hatte, fand in der Presse Erwähnung, obwohl es zumindest einmal zu einem kleinen Skandal kam.
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Abb. 6
Duchamp, Marcel: Lazy Hardware,
Schaufenster für André Bretons
Arcane 17, 19.-26. April 1945, Gotham Bookmart, E. 57th
St. New York, Photographie (Maya Deren), Philadelphia Museum
of Art, Marcel Duchamp Archive. Aus:
Ausst.-Kat. Joseph Cornell/Marcel Duchamp
in Resonance. Philadelphia Museum of
Art, Ostfildern 1998, S. 250, n. 148.
Dieser entzündete sich an dem berühmtesten der Schaufenster, an deren Gestaltung Duchamp beteiligt war. Dasselbe Buchgeschäft wie zuvor, Brentano’s an der Fifth Avenue, ermöglichte 1945 eine Auslage für die Buchpräsentation von Bretons Schrift Arkanum 17. Das Geschäft sah sich jedoch aufgrund von (in der Überlieferung nicht spezifizierten) Protesten der Women’s League bereits am ersten Tag der Installation gezwungen, die Auslage wieder zu entfernen, woraufhin sie in den Gotham Bookmart in eine nahe gelegene Querstrasse verlegt werden musste (Abb. 6) (22). Die Auslage, wie sie uns aus Photographien an ihrem zweiten Standort bekannt geworden ist, bestand aus verschiedenen Beiträgen. Duchamp hatte eine kopflose Schaufensterpuppe beigesteuert, die einen Wasserhahn am Bein hatte und in eine knappe Schürze gekleidet war. Auf einem Etikett wurde dies als Lazy Hardware (Träge Eisenwaren) betitelt. Von Duchamp stammte auch eine Flasche, die zuvor schon als Motiv für eine Titelseite der Surrealisten-Zeitschrift View gedient hatte (Abb. 7). Der von Breton und Duchamp hochgeschätzte junge Maler Roberto Matta Echaurren hatte ein surrealistisches Plakat mit dem Schriftzeile “arcane 17” angefertigt (Abb. 8). Matta hatte zudem für Bretons Buch vier Tarotkarten entworfen, die im Schaufenster präsentiert wurden, indem mehrere Exemplare des Buches an den entsprechenden Stellen aufgeschlagen wurden (Abb. 9). Schliesslich wurde das Cover des Buches samt eines Portraits des Autors sowie einer Schreibfeder in einem seesternförmigen Tintenfass zu Füssen des Mannequins gezeigt. Das Schaufenster ist in mindestens vier verschiedenen Aufnahmen festgehalten worden, von Duchamp bei der Arbeit an dem Mannequin gibt es eine (Abb. 10, 11-12) (23).
Abb.7
Duchamp, Marcel: Titelseite
für View, März 1945.
Aus: Charles Henri Ford (Hg.),
View. Parade of the Avant-Garde.
An Anthology of View Magazine
(1940-47), New York 1992,
o.S.
Abb.8
Matta Echaurren, Roberto:
Tarotkarte 17, 1944, weitere
Angaben unbekannt. Aus: André
Breton, Arkanum 17 (franz.
Abb.9
Matta Echaurren, Roberto:
Schaufensterplakat Arcane 17,
1944, im Besitz des Künstlers,
weitere Angaben unbekannt. Aus:
André Breton, Arkanum 17
(franz. Erstveröff. 1994), München
1993, S. [ 2].
Abb.10
Duchamp, Marcel: Lazy Hardware,Schaufenster für André Bretons Arcane 17 (mit Spiegelung Bretons), 19.-26.
April 1945, Gotham Bookmart, E. 57th St. New York, Photographie. Aus: Arturo Schwarz, The Complete Works of
Marcel Duchamp (3. überarb. und erw. Aufl.), New York 2000, S. 781.
Abb.11
Duchamp, Marcel: Lazy Hardware, Schaufenster für André Bretons Arcane 17 (mit Spiegelung Bretons), 19.-26.
April 1945, Gotham Bookmart, E. 57th St. New York, Photographie. Aus: Arturo Schwarz, The Complete Works of
Marcel Duchamp (3. überarb. und erw. Aufl.), New York 2000,S. 414.
Abb.12
Duchamp, Marcel: Lazy Hardware, Schaufenster für André Bretons Arcane 17 (mit Spiegelung Bretons und Duchamps,
zensierende Schürze), 19.-26. April 1945, Gotham Bookmart, E. 57th St. New York, Photographie. Aus: Ausst.-Kat.
Marcel Duchamp, Anne d’Harnoncourt und Kynaston McShine (Neuaufl. der Ausg. von 1973), Philadelphia 1989, S. 137.
In kunsthistorischen Schriften, in denen Duchamps Schaufenster-Projekte erwähnt werden, ist zumeist nur von der Auslage für Arkanum 17 die Rede. Das mag zum einen daran liegen, dass bereits sehr früh in der seit 1973 ausufernden Duchamp-Literatur, nämlich schon 1977, ein ausführlicher und gedankenreicher Artikel von Charles Stuckey erschienen ist, der sich mit Duchamps Beitrag zu diesem Schaufenster, der kopflosen Schaufensterpuppe, beschäftigte. Der Artikel ist zudem interessant, weil er das schwierige Verhältnis von Kunsthistorikern zum Medium Schaufenster eindrücklich widerspiegelt. Daher seien hier einige Bemerkungen zur Historiographie dieses Schaufensters erlaubt.
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Abb. 1
Duchamp, Marcel: Lazy Hardware,
Schaufenster für André Bretons
Arcane 17 (Duchamp beim Aufbau),
19.-26. April 1945,
Gotham Bookmart, E. 57th
St. New York, Photographie.
Aus: Arturo Schwarz, The Complete
Works of Marcel Duchamp
(3. überarb. und erw. Aufl.), New York 2000, S. 781.
Stuckey zog kunsthistorische Vergleiche für das Mannequin heran und versuchte, es in Duchamps Oeuvre einzuordnen. Obwohl er mit einer Vielzahl mehr oder weniger plausibler Bezüge aufwarten konnte, fühlte er sich verpflichtet, seinen Ansatz zu rechtfertigen: “Vielleicht ist es widersinnig, ein solch kurzlebiges Werk wie Lazy Hardware zu untersuchen, das nur der Versuch war, das Buch eines Freundes anzupreisen” (24). Seine eigenen Zweifel beseitigte er indes mit dem Hinweis, viele andere Künstler hätten ebenfalls in Schaufenstern gearbeitet. 25 Jahre nach Stuckeys Artikel ist der Verweis auf dieses Schaufenster zu einer Pflichtübung im immer aufwendigeren Parcours der Duchamp-Forschung geworden. In eines seiner Überblickswerke nahm kürzlich Hans Belting eine Photographie der Auslage auf; bei einer Buchvorstellung deutete er sogar an, dieses Schaufenster enthalte alle wichtigen Ideen des Grossen Glases (25). Die feministische Forschung stand nicht an, Lacan und seine Theorie des Spiegelstadiums an einer Photographie abzuhandeln, in der Duchamp und Breton sich in der Scheibe dieser Auslage spiegeln, um daran die Ermahnung auszusprechen, dass erst wir als Betrachter mit unserem “‘begehrenden’ Blick” etwas hervorbringen, was keineswegs Duchamp selbst, sondern nur ein Spiegelbild seiner selbst sei (Abb. 13) (26). Es ist somit ein Paradox in der Forschung entstanden, das darin besteht, dass Kunsthistoriker die Auslage an sich und zugleich die Photographien immer häufiger erwähnen, aber scheinbar immer seltener betrachten. Um dieser Regression zuvorzukommen, soll daher hier noch einmal ein Blick auf die Auslage geworfen werden.
Zunächst müssen jedoch einige der Erkenntnisse Stuckeys zu Lazy Hardware erwähnt werden. Er beschränkte sich ganz auf das Mannequin und liess Mattas Beiträge zum Schaufenster beiseite. Die Kopflosigkeit der Puppe führte er auf eine Anlehnung an Max Ernsts Figur aus dem Collage-Roman La Femme 100 Têtes (1930) zurück. Dieser Bezug scheint weniger aufgrund von formalen Parallelen, als vielmehr für das im Titel enthaltene Wortspiel relevant zu sein. Werner Spies hat immerhin vier Lesarten aufgezeigt (27). Eine Behauptung, die sich schwerlich aufrecht erhalten lässt, die aber dennoch fasziniert, erläuterte Stuckey anhand der Rekonstruktion der ersten Aufstellung des Mannequins. Er behauptete, es habe bei Brentano’s niedriger gestanden, so dass etwaige Spiegelungen der Betrachter nicht im Bereich der Scham der Puppe, sondern auf Kopfhöhe erfolgt seien. Die wechselnden Betrachter hätten diese Frau über den Tag hinweg tatsächlich zu einer Frau mit hundert Köpfen gemacht. Stuckey stellte zudem erstmals den Bezug zu Duchamps oben bereits erwähntem Text zum Schaufenster von 1913 her und beschrieb “die aktive Rolle, die Duchamp dem Fenster zuschreibt” als das Bemerkenswerte daran (28). Hieraus erklärt sich, warum für Stuckey der Bezug zu Ernst so wichtig war. Da jedoch die Puppe lebensgross war, hätte sie bei Brentano’s auf Höhe des Gehwegs stehen müssen, um die vermeintliche Spiegelung zu bewirken. Das war nach Stuckeys eigenen Angaben nicht der Fall, und wird auch durch die Photographie eines Schaufensters des gleichen Jahres für Brentano’s widerlegt, das in etwa der gleichen Höhe wie das vom Gotham Bookmart ansetzt (29). Drei der erhaltenen Photographien spielten freilich mit Spiegelung, indem sie Duchamp und Breton, beziehungsweise Breton allein neben die Schaufensterpuppe projizierten. Wohl dadurch kam Stuckey auf den Gedanken, dass die hell angestrahlte Schürze, die einzige Bekleidung der Puppe war, am zweiten Standort eine Reflektion ausschloss und den direkt davor stehenden Betrachter quasi der Spiegelung seines Kopfes beraubt habe. In Analogie zu Ernsts “Frau ohne Kopf” (Femme Sans Tête) hätte da nun ein Betrachter ohne Kopf gestanden, und dieses Wechselspiel nannte Stuckey mit Duchamp “den Koitus durch eine Glasscheibe hindurch”. Die Frage, warum Duchamp den Betrachter hätte enthaupten wollen, bleibt allerdings ungeklärt.
Für den Wasserhahn, den Duchamp am rechten Oberschenkel des Mannequins angebracht hatte, verwies Stuckey zu Recht auf Duchamps Spruch: “Von unseren Artikeln an träger Eisenware empfehlen wir einen Wasserhahn, der zu tropfen aufhört, wenn man ihm nicht mehr zuhört” (30). Offensichtlich hörte niemand mehr zu, denn dieser Wasserhahn tropfte nicht (31). Stuckey ist einer der ersten, die den Wasserhahn in der Literatur phallisch gedeutet haben (32). Craig Adcock hat diese Lesart zum Anlass genommen, gleich von einer Geschlechtsumwandlung der Puppe in Analogie zu Duchamps Spiel mit seinem weiblichen Alter Ego Rrose Sélavy zu sprechen (33). Duchamp selbst hat den Ausspruch vom tropfenden Wasserhahn 1964 in einer Radierung seines Brunnens untergebracht, und damit indirekt eine Verbindung zwischen dem Schaufenster mit Lazy Hardware und dem mit Badezimmerausstattung der Firma Mutt aufgezeigt (34). “Er ist ein Zubehör, das man jeden Tag in den Schaufenstern von Klempnern sehen kann”, hatte Duchamp von dem Brunnengesagt (35). Mit Lazy Hardware veranschaulichte er diese Behauptung für den Wasserhahn, dehnte sie – nicht ohne Witz – auf das Schaufenster eines Büchergeschäfts aus.
Stuckey versuchte sich verdienstvoller Weise auch daran, Parallelen zwischen Duchamps Mannequin und Bretons Buch Arkanum 17 aufzuzeigen, wobei er einen Aspekt daraus hervorhob: die Polarität von Mann und Frau. Nach Stuckey ersetzte Duchamp diese Vorgabe von Breton bei Lazy Hardware durch die Polarität von Betrachter und Betrachtetem. Diese Auslegung beruht jedoch auf einem etwas wackeligem Verständnis von Bretons Schrift. Eine genaue Lektüre von Bretons Roman soll im folgenden den für Lazy Hardware wichtigen Aspekt des Geschlechterverhältnisses klären. Breton hatte das Buch im August 1944 während eines Urlaubs mit seiner zukünftigen Frau Elisa Caro in Kanada begonnen und kurz nach seiner Rückkehr beendet, so dass bereits zu Weihnachten 1944 eine De-Luxe Ausgabe mit farbigen Reproduktionen von Mattas Tarotkarten erscheinen konnte(36). Der Titel des Buches bezog sich auf die Tarotkarte mit der Nummer 17, die Breton einer literarisch-politisch gefärbten Deutung unterzog. Besondere Bedeutung schrieb er dem grössten auf der Karte abgebildeten Stern zu: “Der hier wiedergefundene Stern ist der des grossen Tagesanbruchs, jener, der danach strebte, die anderen Gestirne im Fenster zu überstrahlen” (37). Mit dem Tagesanbruch waren, so geht aus dem Buch hervor, zwei konkrete Dinge gemeint. Das Ende des Krieges und der Beginn einer neün Liebe für Breton, dessen erste Ehe kurz zuvor zu Bruch gegangen war, der aber neues Glück bei Elisa Caro gefunden hatte. Beides erörterte und vermengte Breton in dem Buch, wo er das Bild des Sterns in diesem Sinn ausführlicher deutete:
Er besteht aus der Einheit dieser beiden Mysterien selbst: der Liebe, die aus dem Verlust ihres Gegenstandes wiederauferstehen muss und die sich erst dadurch zum vollen Bewusstsein ihrer selbst, zu ihrer ganzen Würde erhebt; der Freiheit, die nur um den Preis ihres Entzugs ihrer selbst recht inne zu werden und zu wachsen vermag. (38)
In Analogie zur Liebe, die nach einem Verlust wieder neu entstehen könne, sah Breton hier dem Frieden entgegen, der trotz des Krieges bald greifbar werden würde. Bretons Anliegen mit dem Buch war es, diesen persönlichen Optimismus weiterzugeben und die Gestaltung des Friedens vorauszudenken.
Wie so oft bei Duchamp kann man in den drei von ihm plazierten Gegenständen zahlreiche Anspielungen aufdecken, die freilich weder augenscheinlich noch zwangsläufig sind. Die Schreibfeder kann neben dem offensichtlichen Verweis auf die von Breton in Arkanum 17als Heilmittel besungene Poesie beispielsweise Sinnbild für den von ihm gegen Ende des Buches angeführten “Engel Freiheit” sein, der nach Victor Hugo “geboren [ist] aus einer weissen Feder, die Luzifer bei seinem Sturz verloren hat” (39). Die Flasche war die Originalvorlage für das von Duchamp angefertigte Titelbild des Duchamp-Heftes der Zeitschrift View, das im März 1945 erschien und ebenfalls im Schaufenster ausgestellt war. Das Cover zeigt die von rechts unten nach hinten in die Bildmitte ragende Flasche, aus deren Öffnung scheinbar Rauch aufsteigt in den Sternenhimmel, der den Hintergrund des Blattes ausfüllt. Aus einem Bericht darüber, wie Duchamp diese Collage angefertigt hat, geht hervor, dass das Etikett aus seinem Livret Militaire, seinem Militärausweis, bestand(40). Der Künstler war aus gesundheitlichen Problemen schon nicht in den Ersten Weltkrieg eingezogen worden (41). Eine politische Deutung der Flasche wird noch verstärkt, wenn man sie in Verhältnis zu Bretons Ausspruch (der Duchamp vielleicht auch bekannt war), “die traurige Flasche dieser Zeiten aufschütteln” setzt (42). Der entweichende Rauch würde belegen, dass dies gelungen ist, dass das Ende des Krieges in Reichweite gekommen ist. Bretons Buch bot erste Gedanken für diese Übergangszeit an. Beide Beigaben, die Feder und die Flasche konnten folglich politisch gedeutet werden und hätten damit eines der beiden Themen von Bretons Buch behandelt. Das Tintenfass in Form eines Seesterns kann als Bretons Stern verstanden werden, der für Freiheit und für Liebe stand.
Die Schaufensterpuppe jedoch ist schwerlich politisch zu deuten. Vielmehr wird hier eine Auslegung analog zu Duchamps Tür für Gradiva vorgeschlagen, nämlich als Anspielung Duchamps auf Bretons Ansichten zur Liebe, dem zweiten Thema von Arkanum 17, und spezifischer noch Bretons Verhältnis zu Frauen. Die Schaufensterpuppe wäre folglich eine Verkörperung von Bretons Konzept der Frau, jedoch nicht nur der Art von Frau, die in Bretons Buch eine solch zentrale Rolle spielt, der Kind-Frau, sondern zugleich eines alternativen Typus Frau. Duchamp kommentierte mit dieser Figur Bretons Verhältnis zu Frauen, speziell zu seiner ersten Frau Jacqueline, die sich 1942 von Breton getrennt hatte, um eine Beziehung zu dem Künstler David Hare einzugehen (den Breton zum Herausgeber der surrealistischen Exil-Zeitschrift VVV gemacht hatte). Zugleich kommentierte er Bretons Verhältnis zu Elisa, auf die sich die Liebeserklärungen in Arkanum 17 bezogen, und die seine zweite Frau werden sollte. In seiner umfassenden Breton-Biographie hat Mark Polizzotti auf den grossen charakterlichen Unterschied dieser beiden Frauen hingewiesen. Er beschrieb Jacqueline als eine Frau, die “ihrer eigenen Bestimmung zu folgen” beschlossen hatte und die als Künstlerin erfolgreich werden wollte (43). Zu Bretons Ungemach führte sie im New Yorker Exil ein von ihm sehr unabhängiges – und im Gegensatz zu seinem – ereignisreiches Leben. Dagegen vergleicht Polizzotti Elisa zu Recht mit der Kind-Frau, die Breton in Arkanum 17 verherrlichte, war sie doch “verletzbar und leidenschaftlich, offenkundig ohne die privaten Ambitionen, die Breton bei seinen anderen Frauen nur so schwer akzeptieren konnte” (44). Breton hatte zwar dafür plädiert, dass angesichts des Krieges Frauen eine grössere gesellschaftliche Rolle spielen sollten: “Es wäre an der Zeit, die Ideenwelt der Frau auf Kosten derjenigen des Mannes in den Vordergrund zu stellen, die heute mit ziemlichem Getöse ihren Bankrott erlebt,” heisst es da scheinbar freimütig an einer Stelle (45). Doch wollte Breton die ‘Ideenwelt’ der Frau zugleich auf zwei Stimmen beschränken, “die eine, um liebend das Wort an den Mann zu richten, die andere, um das ganze Vertrauen des Kindes zu gewinnen” (46). Dieses Ideal verkörperte Elisa. Die Beschränkung der Frau, die er damit vornahm (und auch in seiner Begeisterung für die Geschichte Gradiva bezeugt hatte), begriff der Autor selbst nicht als negativ. Duchamp dürfte da anders gedacht haben und dies drückte sich, so hier das Argument, in der Schaufensterpuppe Lazy Hardware aus.
Wenn man unter diesem Aspekt die Schaufensterpuppe in Bezug zu Ernsts Romanfigur setzte, könnte man in ihr sowohl die Frau sehen, die ihren eigenen Kopf hat (Femme S’Entête), als auch die kopflose Frau (Femme Sans Tête). Die Frau mit eigenem Kopf wird in der Puppe symbolisiert durch den Wasserhahn, der eine Anspielung Duchamps auf Jacqueline war. Der Trennung von ihr und Breton ging Streit voraus, der unter anderem von tropfenden Wasserhähnen verursacht wurde. So hatte Breton sich gegenüber einem Freund beschwert: “Kannst Du Dir vorstellen, wie einen das in einem Hotelzimmer oder einer winzigen Wohnung irritieren kann, wenn der andere niemals die Wasserhähne zudreht?”(47). Der Wasserhahn hier ist zu, er tropft nicht mehr, und – mit der Definition von TrägenEisenwaren -: Jacqueline hört Breton auch nicht länger zu, denn sie ist gegangen. Die Schürze dagegen steht für Elisa, die keinen eigenen Kopf hatte, die in der Rolle der ergebenen Gattin und fürsorglichen Stiefmutter voll aufging. Das Exemplar von Bretons Buch, das die Puppe in den Händen hält, bezeichnet Breton als Bezugspunkt für beide Frauen. Breton sind diese Andeutungen des Freundes, wie bereits bei der Gradiva-Tür, jedoch scheinbar nie zu Bewusstsein gelangt, was dafür spricht, wie dezent Duchamp seine Kritik anbrachte, denn Breton war bei beiden Projekten die Person, die sie am ehesten hätte verstehen können.
Ein weiteres bemerkenswertes Element dieses Schaufensters war das Plakat, das Matta eigens dafür angefertigt hatte. Es ist ein merkwürdiger Umstand der Geschichte, dass, obwohl nicht die Puppe, sondern die weibliche Brust in Roberto Mattas Bild der Auslöser für erneuten Ärger mit der Auslage (am zweiten Standort) war, die neuere Forschung eher an der Puppe als an der nackten Brust in Mattas Bild Anstoss genommen hat (48). Das Plakat ist heute nur in einer Schwarz-Weiss Reproduktion zugänglich, dürfte aber in Analogie zu anderen Werken dieser Zeit durchaus mit verschiedenen hellen Farben ausgeführt worden sein. Das Hochformat, das an der linken Seite des Schaufensters des Gotham Bookmart von der Decke abgehängt worden war, zeigt eine für Matta damals typische Strichzeichnung, in die etwa mittig Fahnen mit “arcane 17” und am unteren Ende mit “André Breton” gesetzt sind. Die Bildhälfte oberhalb von “arcane 17” deutet mit vielen kleinen Punkten und einem grösseren zackigen Objekt den Sternenhimmel an, von dem in Bretons Buch die Rede war. Die untere Bildhälfte füllt ein nacktes Liebespaar, das in einem ‘verschlingenden’ Kuss ineinander verflochten ist. Die Köpfe sind insektenhaft auf Öffnungen und Rüssel reduziert. Dass es die Frau ist, die auf dem Rücken liegt, lässt sich allein an ihrer Brust ablesen. An dieser Brust machten am zweiten Standort der Auslage die Sittenwächter der Vice Society in Person eines gewissen John Sumner ihre Kritik fest. Die Besitzerin von Gotham Bookmart, Frances Steloff, auf die diese Anekdote zurückgeht, wies zunächst seine Vorwürfe zurück mit dem Hinweis: “Ich kann dieses Fenster genauso wenig anrühren, wie ich ein Meisterwerk verändern könnte. Es wurde von Breton und Duchamp persönlich hergerichtet” (49). Doch Sumner bestand auf einer Änderung. Steloff berichtete über ihr weiteres Vorgehen:
An diesem Abend kam mir die Idee, die ‘anstössige’ Stelle mit Herrn Sumners Visitenkarte, die er mir zurückgelassen hatte, abzudecken. Mit grossen Buchstaben stand das Wort ‘Censored’ (zensiert) auf einer Karte darunter. Die Menschenmengen wuchsen dadurch noch mehr, und die Auslage verblieb eine volle Woche im Fenster. (50)
Die Photographien zeigen allerdings keine Karte über der Brust, sondern eine Schürze, die jener ähnelt, die Schaufensterpuppe trägt (51). Eine raffinierte Anspielung auf die engstirnige bürgerliche Moral, die Kind-Frau symbolisierte, und in deren Dienst sich die Vice Society gestellt hatte.
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Abb. 14
Duchamp, Marcel: Schaufenster
für Le Surréalisme et la Peinture
von André Breton, Herbst 1945, Brentano’s
Fifth Avenue New York,Photographie.
Aus: Arturo Schwarz, The Complete Works of
Marcel Duchamp (3. überarb. und erw. Aufl.),
New York 2000,Nr. 512, S. 782.
Abb. 15
Duchamp,Marcel: Étant Donnés:
1. la chute d’eau /
2. le gaz d’éclairage
(Gegeben Sei: 1. Der Wasserfall /
2. Das Leuchtgas), Innenansicht,
1946-66, mixed media assemblage, Philadelphia Museum of Art.
Abb. 16
Cézanne,Paul: L’Eternel
Feminin, 1880-82, Öl/Lw, 43,2×53,3cm,
J. Paul Getty Museum, Los Angeles.
Das Schaufenster für Arkanum 17 belegt besonders anschaulich die Vielschichtigkeit der Auslegungsmöglichkeiten, die Duchamp auch in diesen Werken offeriert. Es bietet sowohl persönliche, als auch weltanschauliche Anspielungen. Duchamp äussert sich zum künstlerischen Prozess ebenso wie zur Banalität von Schaufensterauslagen. Die Rollen von Künstler, Betrachter, Kaufmann und Kaufendem werden gleichermassen angesprochen wie der in den beiden Hauptwerken thematisierte Topos der (vermeintlichen) Erotik des Blicks. Duchamp unterzieht all diese Aspekte derselben Befragung. Das Betrachten des Schaufensters wird somit zum Betrachten der eigenen Anschauungen, zur Befragung der eigenen Person.
Ebenfalls 1945 entstand ein weiteres Schaufenster für den Buchladen Brentano’s an der Fifth Avenue (Abb. 14). Das Buch, das es diesmal anzuzeigen galt, war Bretons Der Surrealismus und die Malerei, das gerade bei Brentano’s eine neue Auflage erhalten hatte. Rechts in der Auslage standen auf zwei Stufen jeweils eine Plastik von Enrico Donato und tiefer eine von Duchamp. Beide Paare Fuss-Schuhe gehen auf ein Bildmotiv von Magritte zurück (Das Rote Modell, 1937), das als Titelbild des anzuzeigenden Buches gewählt worden war. Während Donatis “Füsse” Magrittes Motiv ins Dreidimensionale übersetzten, zeigten Duchamps “Füsse” die Unterseite dieser sich verdinglichenden Glieder. Thomas Girst hat Duchamps Fuss-Plastik zu Recht als erotisches oder gar fetischistisches Motivt gedeutet (52). Im Zentrum dieses Fensters hing ein Papier-Schleier, der, in der Mitte fixiert, nach zwei Seiten auseinanderfiel. Unter dem Schleier stand eine abstrakte Plastik der Bildhauerin Isabelle Waldberg. Durch die Künstlerin ist überliefert, dass Duchamp der Erfinder dieser Auslage war (53). Girst ist die wichtige Entdeckung zu verdanken, dass es sich bei der Figur von Waldberg um eine Person handelte, der eine ähnliche Körperhaltung aufwies wie später jener in Étant Donnés(Abb. 15) (54). Vor diesem Ensemble stand ein vorgefertigter Torso aus Maschendraht, wie er vermutlich häufig in professionellen Friseur- oder Oberbekleidungs-Schaufenstern verwendet wurde.
Folgt man Girsts Argument und erkennt in der Figur ein Vorstadium für Etant Donnés, dann fällt auf, dass der Schleier nur dem Schaufenster, nicht der späteren Installation eigen ist. Es ist vor allem das Motiv einer lasziv sich darbietenden Frau unter einem solchen Schleier das nahe legt, verschiedene Werke von Paul Cézanne könnten hier als Anregung gedient haben. Dessen Gemälde L’Eternel Féminin (1880-82) weist besonders markante formale Parallelen zu Duchamps Bildschöpfung auf (Abb. 16) (55). Die Körperhaltung beider Frauen – das angewinkelte rechte Bein und die weggesteckten Arme – ist durchaus vergleichbar. Der Schleier schaffte der Frau in beiden Fällen einen Innenraum. In beiden Darstellungen hatte der fallende Stoff eine trennende Funktion. Er grenzte die Frau vom Umfeld ab und schaffte somit einen Innenraum, der auch in Anspielung auf das weibliche Geschlecht auf die intime Seite der Erotik anspielte. Durch die Abgrenzung betonte er die Frau jedoch auch und transformierte sie zu einem Objekt der allgemeinen Betrachtung. Damit legte Duchamp die öffentliche Seite der Erotik offen. Diese Dichotomie von Intimität/ Öffentlichkeit teilen Schaufenster und Erotik. Doch Duchamp ging weiter und befragte die Zuschauerreaktion. War der Betrachter hier wie bei Cézanne ein tumber lüsterner Voyeur? (56) Oder war er wie der Maschendraht-Torso bei Duchamp potentiell ein Jedermann, der von des Schaufensters Gestaltung oder des Betrachters Phantasie erst mit Identität bekleidet werden musste (der Scheinwerfer im Schaufenster strahlt nicht die Figur unter dem Schleier, sondern den Betrachter-Torso an)? In Duchamps Auslage gab es kein Urteil im Vorhinein. Nicht Darstellung (Kunst), sondern Handlung (Betrachten, Bekleiden, etc.) ist in diesem Sinne wertend zu verstehen, wie es das “q.e.d.” am Ende von Duchamps Text zu Schaufenstern nahegelegt hatte. In dieser Auslage werden die beiden Pole des künstlerischen Prozesses thematisiert, wie Duchamp sie definiert hatte: der Künstler und der Betrachter (57). Letzterer war es, der ein Urteil (verdict) an die Kunst/ Ware herantrug, doch die Kunst/ Ware würde unabhängig von der Qualität dieses Urteils bestehen bleiben.
Somit wurde speziell in diesem Schaufenster die von Duchamp in dem Text von 1913 angesprochene “Frage der Schaufenster”, seine Thematisierung der Moral von erotischer/kaufender Begierde wieder aufgenommen. Gerade in diesem Schaufenster veranschaulichte Duchamp noch einmal die Parallelität von Erotik in der Schaufenster- und in der Kunst-Betrachtung. Nicht das Objekt der Betrachtung bestimmte die Qualität des Erlebnisses, sondern das Subjekt. Wie später in Etant Donnés inszenierte hier Duchamp in bewusst provokanter Weise eine nackte Frau, um den Betrachter mit sich selbst, seinem Voyeurismus und seinem Begehren zu konfrontieren. Mit diesem Prozess zeigte der Künstler, dass die vermeintliche Grenze zwischen Betrachter und Voyeur moralischer nicht künstlerischer Natur war, dass vom Standpunkt der Kunst eine solche Grenze nicht so leicht zu bestimmen war. Und dass, wie bei Cézanne auch, die Eindeutigkeit moralischer Positionen zwischen Betrachter und Betrachtetem eine Illusion ist. So erübrigte es sich, von Schuld überhaupt noch zu sprechen, denn wer war hier Täter, wer Opfer? Bereits Duchamps Zeilen von 1913 hatten beide Rollen in eine Person verlegt.
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Abb. 17
Duchamp,Marcel: Schaufenster
mit Akt die Treppe Herabsteigend
Nr. 3, 29.1.1960, Bamberger Department
Store, Newark, Photographie, Philadelphia Museum
of Art. Aus: Jennifer Gough-Cooper/
Jacqüs Caumont, Ephemerides
on and about Marcel Duchamp and
Rrose Sélavy. 1887-1968,London
1993, 29.1.1960.
Ein weiteres Schaufenster von Marcel Duchamp entstand erst 1960 und trotz seiner Suggestivität ist es in der Duchamp-Literatur erstaunlicherweise bisher mit einer Ausnahme unberücksichtigt geblieben (Abb. 17) (58). Diesmal war es nicht wie bei Lazy Hardware der Kopf, der dem Mannequin, oder vielmehr, den fünf Mannequins fehlte, sondern die Arme. In einem Schaufenster für das Warenhaus Bamberger im New Yorker Vorort Newark hatte Duchamp alle fünf unbekleideten, armlosen Mannequins auf Stufen nebeneinander gestellt, so dass es aussah, als stiegen sie hintereinander diese Treppe herab (59). Das Gemälde Akt die Treppe Herabsteigend, auf das dieses Ensemble anspielte, hing gleich neben der Puppe auf der obersten Stufe. Gemälde und Puppen standen in einem Wechselverhältnis, das Duchamp als Variation auf das Thema abstrakte versus figurative Kunst angelegt hatte. Hier aber dominierte nicht eine der beiden Richtungen, vielmehr stellte sich in der Nebeneinanderstellung die grundlegendere Frage nach dem Wesen der Kunst. Wie wir wissen, hatte Duchamp in seinen Ausführungen zum “Creative Act” (1957) dem Betrachter eine gleichwertige Bedeutung neben dem Künstler im künstlerischen Schaffensprozess zugeschrieben (60). Übertragen auf eine Auslage im Schaufenster bedeutet dies, dass möglicherweise ein ähnliches Verhältnis zwischen Käufer und Schaufenstergestalter besteht.
Im Januar 1960 nahm Marcel Duchamp in dieser Auslage für Robert Lebels gerade erschienene Duchamp-Monographie Sur Marcel Duchamp (1959) nochmals auf das Gemälde Bezug, das ihm 1913 bei der Armory Show amerikaweite und lang anhaltende Berühmtheit als dem Maler von Akt die Treppe Herabsteigend (1912) eingebracht hatte. Mit diesem Schaufenster adressierte Duchamp zugleich mehrere Anliegen: Erstens dankte er damit dem Kunsthistoriker und Freund Robert Lebel, der wiederum mit seiner Monographie den Künstler ehrte; zweitens setzte sich Duchamp mit dem Akt, seiner amerikanischen Rezeption und dem daraus entstandenen Mythos auseinander; drittens stellte diese Auslage mit der Ansammlung wichtiger Dokumente von Duchamps öffentlichem Werdegang, demAkt, der Schachspieler-Zeichnung, dem Rotorelief und dem doppeltbelichteten Portrait, eine Art künstlerischen Resümees dar; viertens betrafen alle diese Punkte zugleich auch das Verhältnis zwischen Künstler und Publikum.
Es war angemessen, dass Duchamp auch für Lebels Buch eine Auslage schuf, hatte dieser doch, wie gesagt, die drei Schaufenster aus den 1940er Jahren als eigenständige Werke anerkannt, indem er sie in das Duchamp-Werkverzeichnis aufgenommen hatte (61). Bereits die in den 1940er Jahren entstandenen Schaufenster waren stets durch Freundschaft, nicht durch monetäre Vergütung motiviert gewesen.
Die räumliche Nähe der Puppen zum Gemälde sowie das grosse Schild mit dem Hinweis auf den Titel des Gemäldes warfen die Frage auf, ob nicht auch die Puppen als Kunst anzusehen seien. Zudem beleuchteten Puppen und Gemälde einander gegenseitig und stellten somit einen Bezug zum Konkurrenzkampf abstrakter – figurativer Kunst her. Diese Auslage entblösste diese Konkurrenz als redundant. Die Nebeneinanderstellung hatte aber auch den Vorteil, dass Duchamp den Moralisierungen der Ordnungshüter von Schaufensterauslagen zuvorkam, indem er den dort gezeigten Gegenständen, den unbekleideten Puppen, zumindest im Rahmen des Schaufensters das Prädikat “Kunst” verliehen hatte. Gar nicht so subtil amüsierte sich der Künstler hier, so scheint es, über die oftmals ungelenken Versuche (nicht nur) seiner Kritiker, Grenzen zwischen hi&low und zugleich auch zwischen Kunst und Pornographie festzulegen.
Zahllose Male hatte Duchamp sein Gemälde seit dem Skandal bei der Armory Show 1913 erklären müssen:
mein Ziel war eine statische Darstellung von Bewegung, eine statische Komposition von Verweisen auf verschiedene Positionen, die eine Form in Bewegung einnehmen kann – ohne die Absicht, einen cineastischen Effekt durch Malerei zu erreichen. Die Reduzierung eines Kopfes in Bewegung auf eine einfache Linie erschien mir vertretbar (…) Daher fühlte ich mich gerechtfertigt, eine Figur in Bewegung auf eine Linie anstatt auf ein Skelett zu reduzieren. Reduzieren, reduzieren, reduzieren war mein Gedanke – aber zur gleichen Zeit war mein Ziel eine Wendung nach Innen anstatt zu Äußerlichkeiten. (62)
Im Schaufenster von 1960 drehte er diese Aussage in ihr Gegenteil: Aus den Linien wurden ganze Körper, aus der Reduktion wurde Addition, die Wendung nach innen ersetzte eine Schau der Körper. Und auch der cineastische Effekt der Malerei, den der Künstler zuvor zurückgewiesen hatte, wurde hier geradezu heraufbeschworen durch den glamourösen und zugleich einförmigen Eindruck, den die Puppen trotz Arm- und Haarlosigkeit machten. Der goldfarbene Rahmen, der nicht nur das Gemälde selbst, sondern auch die fünf nackten Damen einrahmte, und am unteren Ende von den Buchauslagen sowie einer Zeichnung, derStudie für das Portrait der Schachspieler (1911), und einem Rotorelief überschnitten wurde, verlieh der Auslage musealen und zeitlosen Charakter (63). Das gleich sechsmal wiederholte doppelbelichtete Portrait Duchamps von Victor Obsatz fügte den Mannequins ein (weiteres) ironisches Moment hinzu: Die Profile der oberen Aufnahmen schauten den herabsteigenden Puppen nämlich entgegen, während die jeweilige Frontalaufnahme den Betrachter verschmitzt anlächelte.
Das Schaufenster für Bamberger belegt, wie unvermindert spielerisch und zugleich ideenreich und raffiniert Duchamp mit dem Medium Schaufenster umging. Die Auslage vermittelte aber auch den Eindruck, dass der Künstler mittels Ironie eine gewisse Distanz zu dem für seinen Werdegang so bedeutenden Werk Akt die Treppe Herabsteigendeingenommen hatte. Für diese Auslage hatte Duchamp aufwendigere und langwierigere Vorbereitungen getroffen als für jene bei Brentano’s und Gotham Bookmart. Er entlieh 1960 eigens die Schachzeichnung sowie den Akt aus dem Philadelphia Museum of Art (64). Mit diesem Schaufenster, in dem das Schachspiel mit dem Akt zusammengeführt wurde, thematisierte und resümierte Duchamp diese beiden Mythen seines Lebens. Das anzuzeigende Werkverzeichnis hatte sein künstlerisches Werk als Thema für diese Auslage vorgegeben. Duchamp nutzte die Gelegenheit, sich selbst noch einmal in den Rollen vorzustellen, in denen die breitere Öffentlichkeit ihn kannte. Wenn das erklärte Ziel für das Gemälde Akt die Treppe herabsteigend “eine Wendung nach Innen anstatt zu Äusserlichkeiten” gewesen war, dann wurden jetzt ostentativ die Äusserlichkeiten vorgeführt, um zu betonen, dass es sich hier um Rollen handelte. Die Mannequinimitation war grösser als das Gemälde, von dem sie inspiriert war, wie auch die skandalträchtige Popularität grösser als die kritische Beachtung des Gemäldes selbst gewesen war. In dem Schaufenster wirkte vor allem die Nacktheit der Puppen skandalös, während diese in dem Gemälde nicht der Stein des Anstosses war, sondern der Malstil, der mit Geometrisierung und Brechung der Darstellung auffiel.
Schliesslich können die Puppen auch parallel zu Henry Adams’ berühmtem Mannequin verstanden werden. Der Historiker und Kulturkritiker hatte seine Autobiographie nach dem Vorbild Rousseaus als einen Lehr-Bericht des Versagens stilisiert (65). Adams wählte die Metapher eines Mannequins, um ein Mass für sein Lebenswerk finden: die Kleider als eine massgeschneiderte Erziehung, die ein Zurechtkommen in der Welt des 20. Jahrhunderts ermöglichen würde. Bei Henry Adams passten die Kleider seiner Erziehung nicht, er beschrieb sein Leben als Scheitern. Bei Duchamp blieben die Mannequins nackt. Sie waren wie der Drahttorso im früheren Schaufenster Projektionsflächen für die Vorstellungen des Betrachters. Diesen Teil des Kunstwerkes überliess Duchamp als ostentative Veranschaulichung seines in “Creative Act” geäusserten Credos dem Betrachter.
Aus dem Vorangegangenen sollte ersichtlich geworden sein, dass Schaufenster Duchamp aus vielerlei Gründen während seines ganzen Lebens interessierten. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen war er zu keinem Zeitpunkt gezwungen gewesen, Schaufenster für seinen Unterhalt zu gestalten, sondern er hatte diese Projekte aus Freude an der Herausforderung angenommen. Oft nutzte er sie für humorvolle persönliche Anspielungen. Beide Hauptwerke, sowohl das Grosse Glas als auch Etant Donnés sind in der Rezeption zu Recht mit Schaufenstern verglichen worden. Der Künstler war fasziniert von der Überlagerung verschiedener räumlicher Ebenen, die das Schaufenster suggerierte oder auch provozierte. Zudem reizte ihn, wie bei den Ready-Mades auch, die grosse Nähe von Kunst zu Konsumgütern, deren Trennung er oftmals als künstlich entlarvte und in Frage stellte. “Die Frage der Schaufenster” beschränkte sich bei Duchamp folglich nicht nur auf moralische oder persönliche Aspekte, sondern erstreckte sich durchaus auf fundamental künstlerische Zusammenhänge.
*Dieser Artikel geht aus einem Kapitel meiner Dissertation SchaufensterKunst hervor, die im Herbst 2003 im Böhlau Verlag/ Köln erscheint (ISBN 341202903-3, ca. € 34,90). Wertvolle Hinweise verdanke ich Ulrich Rehm, Thomas Girst und Michael Taylor.
Notes
(1) Cf. Robert Lebel, Sur Marcel Duchamp, Paris 1959, Kat.-Nr. 183, 188 und 189.
(2) Die erste ernsthafte und ausführliche Auseinandersetzung mit einem dieser Werke Duchamps seit dem verdienstvollen Artikel von Charles Stuckey (“Duchamp’s Acephalic Symbolism”, in: Art in America, Jan./Feb. 1977, S. 94-99, verdankt sich Thomas Girst (tout-fait.com, Jan 2002, Jg. 2, Nr. 4, Article, Window Display).
(3) Zu dem Geschäft des Konfektionärs Gamelin, cf. Thomas Girst “Diese Objekte obskurer Begierden – Marcel Duchamp und seine Schaufenster”, in: Hollein, Max und Christoph Grunenberg (Hrsg.) Shopping. 100 Jahre Kunst und Konsum (Ausst.-Kat.), Ostfildern: Hatje Cantz, 2002, S. 142-147.
(4) Marcel Duchamp im Interview mit James Sweeney, 1995, in: James Nelson (Hg.), Wisdom:Conversations with the Elder Wise Men of Our Day, New York 1958, S. 89-99, S. 93. Auf Sweeneys Frage: “I imagine you feel that The Chocol ate Grinder heralded something in your work, something of that break you have often told me about?” antwortete Duchamp: “It was really a very important moment in my life. I had to make great decisions then”.
(5) Duchamp zitiert in: Kynaston McShine und Anne d’Harnoncourt, Marcel Duchamp (Reprint des Ausst. Kat. von 1973), 1989, S. 272 [(…) an architectural, dry rendering (…)].
(6) Duchamp zitiert nach Karin von Maur, “Marcel Duchamp ‘Fenêtrier'”, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden Württemberg, 18. Jg., 1981, S. 99-104, S. 100: “Statt als Maler angesehen zu werden, würde ich lieber als Fenstermacher (‘Fenêtrier’) gelten wollen”.
(7) Anne d’Harnoncourt und Walter Hopps, Etant Donnés: 1° la chute d’eau, 2° le gaz d’éclairage. Reflections on a New Work by Marcel Duchamp (2. Reprint), Philadelphia Museum of Art Bulletin, Jg. 64, Nr. 299+300, April-Sept. 1969, Philadelphia 1969, S. 31 (Duchamp’s first window is his greatest: The Large Glass is less a picture than it is a vast window on the constant flux of life around it. Conversely, the images etched and glued onto its surface can be imagined as projections of objects in an admittedly extraordinary shop-window case behind it. Given a shifting environment of passers-by, with their attendant hopes, fears, and desires, the Glasscontinually reconstitutes a brilliant synthesis of the ‘outside world’ and the inside world of the imagination).
(8) Diese Deutung beruht auf Duchamps Vorstellung von der vierten Dimension. Calvin Tomkins, Duchamp. A Biography, 1996, S. 60, hat sie treffend wie folgt zusammengefaßt: Duchamps “line of reasoning was quite simple: since light falling on a three-dimensional object projected a two-dimensional shadow image, he reasoned, why couldn’t our own, three-dimensional world be seen as the projection of another reality in four dimensions”?
(9) Marcel Duchamp, Die Schriften (2 Bde.), Zürich 1981, Bd. 1, S. 69, (54) (‘Schokoladenzerreiber’ bei Stauffer ersetzt zwecks Anpassung an den übrigen Text). Die Streichungen hier wie in den folgenden Zitaten gehen auf Duchamp zurück. – Signifikanterweise sind Titel und Signatur des Großen Glases auf der Rückseite der Schokoladenmühle angebracht worden, was sie nach Duchamp zu Etiketten werden läßt. – Randall K. Van Schepen, “Duchamp as Pervert”, in: Art Criticism, 7. Jg., H. 2, 1992, S. 53-75, S. 65, beläßt es nicht bei der Deutung der Rotation als Onanie, vielmehr geht seine Interpretation (der die These zugrunde liegt, Duchamp sei insofern pervers, als er im anal-sadistischen Entwicklungsstadium seiner Sexualität steckengeblieben sei) dahin, das Produkt des Reibens sei “closer to feces than to sperm”.
(10) Duchamp, 1981, cf. Anm. 9, Bd. 1, S. 125 (117). Der deutsche Wortlaut folgt Stauffer, Satz und Interpunktion sind jedoch üblichen Regeln angeglichen.
(11) Maur, cf. Anm. 6, ist bemüht, ihre Interpretation auf eine platonische Ebene zu verschieben. Herbert Molderings, (Marcel Duchamp: Parawissenschaft, das Ephemere und die Skepsis, Frankfurt 1983), begreift den Text wie auch die Fenstermotivik bei Duchamp als Meditationen des Künstlers zum Verhältnis Voyeur-Exhibition und im nächsten Schritt als “Paradigm[en] für die gesamte Situation zeitgenössischer Kultur” (S. 71). Jerrold E. Seigel (The Private Worlds of Marcel Duchamp: Desire and Liberation, and the Self in Modern Culture, Berkeley/ London 1995) argumentiert, Duchamp “used the image of the shop window to meditate on the relations of desire and satisfaction that recurred in his work” (Kap. 6). Eine Interpretation, die beides verbindet, bietet John Golding (Marcel Duchamp. The Bride Stripped Bare by her Bachelors, Even, New York 1972): “Like Mallarmé, Duchamp appears to be obsessed with the idea of the work of art as a symbol or substitute for the object of love or desire which cannot be touched, for to do so would break the spell” (S. 53). – Eine Ausnahme von diesen auf Erotik konzentrierten Ansätzen ist der Aufsatz von Shelley Rice (“‘The Qüstion of Shop Windows…'”, in: Lynn Gumpert (Hg.), Art of the Everyday: The Quotidian in Postwar French Culture, Grey Art Gallery and Study Center (New York), etc.New York/ London 1997/98), die – leider ohne weitere Begründung oder Erläuterung – Duchamps Text mit den Trödelschaufenstern in Verbindung bringt, die Atget vorzugsweise photographierte, die Aragon in Pariser Landleben und Benjamin in demPassagenwerk beschrieben hatte.
(12) Molderings, cf. Anm. 11, S. 79. Cf. auch Kap. VI und VII, passim.
(13) Antje von Graevenitz, “Duchamps Tür ‘Gradiva’. Eine literarische Figur und ihr Surrealistenkreis”, in: Klaus Beekman und Antje von Graevenitz (Hg.), Marcel Duchamp (Reihe Avantgarde, Heft 2), Amsterdam 1989, S. 63-93, bes. S. 69, wo es heißt: “(…) dass Duchamp Hanolts [sic] Wandlung auf den Betrachter transponieren will. Die äußere, tatsächliche Passage würde dann mit einer inneren verbunden, einem ‘rite de passage’ (…)”. Graevenitz’ Ansatz ist leider nicht zuletzt aufgrund sprachlicher Ungenauigkeit anfechtbar.
(14) Zitiert nach Arturo Schwarz, The Complete Works of Marcel Duchamp (3. überarb. und erw. Aufl.), New York 2000, S. 742 [(…) she who sees ‘the beauty of tomorrow – still hidden from most people’]. Ähnlich Breton in der Ankündigung, die Galerie solle “die Schönheiten von morgen [präsentieren], die vor den meisten noch verborgen sind und auf die wir dann und wann durch die Berührung eines Objektes, durch das Vorübergehen eines Gemäldes, durch eine Wendung in einem Buch einen Blick erhaschen” (zitiert bei Mark Polizzotti, Revolution des Geistes. Das Leben André Bretons (engl. Erstveröff. 1995), München/ Wien 1996, S. 638).
(15) Die kräftige Statur der größeren Person könnte, obwohl es damals niemand aussprach, Breton selbst gemeint haben, der eindrucksvoll groß gewesen ist. Vielleicht kommentierte Duchamp hier also Bretons eigenes Verhältnis zur Liebe, zu Frauen. Breton sah in diesen gern die Muse und tolerierte Selbstständigkeit kaum (zu Bretons Verhältnis zu den von ihm geliebten Frauen ist aufschlußreich Polizzotti, cf. Anm. 14, Kap. 17).
(16) Denis de Rougemont zitiert bei Schwarz, cf. Anm. 14, S. 768, Nr. 489 [(…) a ceiling made of open umbrellas hanging by their handles]. Schwarz zitiert ausführlich aus Rougemonts Tagebuch (Journal d’une époqü,1926-1946, Paris 1968, S. 526f.) und enthält sich selbst überraschenderweise einer Deutung des Schaufensters im Sinn seiner alchemistischen oder psychoanalytischen Theorien.
(17) Cf. Rougemont in Schwarz, cf. Anm. 14, S. 768, Nr. 489 [(…) all the women will understand].
(18) Henri-Pierre Roché, “Erinnerungen an Marcel Duchamp”, in: Lebel, cf. Anm. 1, S. 176.
(19) Cf. Salvador Dalí, Das Geheime Leben des Salvador Dalí (engl. Erstveröff. 1942), München 1984, S. 466, wo Dalí stolz von den “von der Pavillondecke hängende[n] umgestülpte[n] Regenschirme[n]” berichtete.
(20) Cf. Polizzotti, cf. Anm. 14, S. 728f., der berichtet, dass Breton diesen Laden häufig auch in Begleitung von Max Ernst und Claude Lévi-Strauss aufsuchte.
(21) Die Ausnahme war ein Schwarzer, der wie Rougemont berichtete, mit wilden Sprüngen und Rufen auf eine Figur im Schaufenster reagierte (cf. Schwarz, cf. Anm. 14, S. 768, Nr. 489). Donati behauptet, in seinen an verschiedenen Punkten anfechtbaren Erinnerungen, es sei die Heilsarmee (!) gewesen, die sich bei dem Buchladen beschwert habe, was wenig plausibel klingt (cf. Kim Whinna: “A Friend Fondly Remembered: Enrico Donati on Marcel Duchamp”, in: tout-fait.com, Dezember 2000, Jg. 1, Nr. 3, Interviews).
(22) Lebel, cf. Anm. 1, Kat. Nr. 189. Hier die bisher einzige Begründung für die erzwungene Verlegung. Stuckey (cf. Anm. 2), S. 95 und Anm. 13, behauptet, ohne eine andere Quelle als Lebel zu nennen, die Brust habe auch hier den Anstoß erregt. Quellengeschichtlich ist der Grund des Anstoßes am ersten Standort der Auslage ansonsten nicht belegt.
(23) Stuckey (cf. Anm. 2), S. 99, Anm. 18, gibt eine Liste der Photographien sowie Stellen, an denen sie bis dahin veröffentlich worden waren. Stuckey erwähnt jedoch nicht, dass es von der Photographie, in der Breton sich spiegelt, mindestens zwei Versionen gibt.
(24) Stuckey, cf. Anm. 2, S. 96 (Perhaps it is foolish to examine such a short-lived work as Lazy Hardware, an attempt merely to promote a friend’s book).
(25) Hans Belting: Das Unsichtbare Meisterwerk. Die Modernen Mythen der Kunst, München 1998, S. 373, Abb. 144. Belting stellte das Kapitel zu Duchamp anläßlich der Tagung “Marcel Duchamp. Das Große Glas. Herausforderung für Kunstgeschichte und Philosophische Ästhetik”, Bonn 8.-10.10.1998, vor. Die These, das Schaufenster mit Lazy Hardware fasse alle Thesen des Großen Glases zusammen, wurde dort mündlich geäußert und ist in Beltings Buch selbst nicht zu finden.
(26) Amelia Jones, Postmodernism and the En-Gendering of Marcel Duchamp, New York 1994, S. 84, wo Lacans These wie folgt auf die Photographie bezogen wird: “The gaze makes the subject ‘exist’ by posing her or him in relation to an other (…) This photo-graph of Duchamp’s window marks not Duchamp’s disseminating authorship but the fact that he exists only through our desiring ‘gazes’ as a reflection, as photo-graphed”.
(27) Werner Spies, Max Ernst – Collagen. Inventar und Widerspruch, Kunsthalle Tübingen, Kunstmuseum Bern, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (Düsseldorf), Köln 1988/89, S. 186. 1. La femme cent têtes; 2. La femme sans tête; 3. La femme s’entête; 4. Femme sang tète.
(28) Stuckey, cf. Anm. 2, S. 96 [The active role Duchamp gives to the window (…)].
(29) Stuckey (cf. Anm. 2) beruft sich auf die Information von Brentano’s, die immerhin von 12 bis 18 Zoll Höhe sprachen. Damit wäre eine Spiegelung des Betrachterkopfes, so es überhaupt eine gab (Stuckey setzt voraus, dass die Lichtverhältnisse in beiden Geschäften dieselben waren, was äußerst unwahrscheinlich ist), günstigstenfalls in Brusthöhe des Mannequins möglich gewesen.
(30) Deutsche Fassung nach Molderings, cf. Anm. 11, S. 71. Duchamp zitiert in: André Breton, Anthologie de l’Humour Noir, Paris 1940, S. 233. – Molderings, cf. Anm. 11, S. 71, hebt Duchamps Betonung des “reziproke[n] Verhältnis[esses] der Wahrnehmung” hervor.
(31) Donati behauptet fälschlicherweise, “piss flowed through a faucet attachted to her upper thigh”, was von keinem anderen Zeitzeugen oder den Photographien belegt wird (Enrico Donati im Interview mit Kim Whinna, tout-fait, cf. Anm. 21).
(32) Stuckeys Spekulationen zum Ursprung des Wasserhahns und der Schürze gehören zu den Schwachstellen seines Aufsatzes (cf. Stuckey, cf. Anm. 2, S. 96f.). Daher wird hier nicht näher darauf eingegangen.
(33) Craig Adcock, “Duchamp’s Eroticism: A Mathematical Analysis”, in: Rudolf E. Künzli und Francis M. Naumann (Hg.), Marcel Duchamp: Artist of the Century, Cambridge/ London 1989, S. 149-167, S. 163, wo es heißt: “The faucet on the mannequin is an obvious phallic symbol and transforms the female figure into a male (…)”. Schwarz, cf. Anm. 14, S. 227, kommt ganz ähnlich zu dem Schluß, dass der Wasserhahn die Puppe zum Hermaphroditen werden läßt. Zudem interpretiert er die Kopflosigkeit als Kastration. – Enrico Donati will sich erinnern, dass bei Brentano’s “piss flowed through a faucet”, was recht unwahrscheinlich ist (cf. Anm. 21).
(34) Abgebildet bei Adcock, cf. Anm. 33, S. 164. Bei Schwarz, cf. Anm. 14, S. 840, Nr. 606.
(35) [Marcel Duchamp], “The Richard Mutt Case”, in: The Blind Man, abgedruckt in: Tomkins, cf. Anm. 8, S. 185 (It is a fixture that you see every day in plumbers’ show windows).
(36) Cf. Polizzotti, cf. Anm. 14, S. 760.
(37) André Breton, Arkanum 17 (franz. Erstveröff. 1944), München 1993, S. 110. Ausführliche Deutungen der Karte auf den S. 70, 84 und 110ff. Ein informativer Kommentar bei Bernd Mattheus, “Ein neün Mythos”, in: Ibid., S. 149-191, bes. S. 151-157.
(40) Cf. Peter Lindamood, “I Cover the Cover”, in: View, März 1945, zitiert nach: Charles Henri Ford, View. Parade of the Avant-Garde. An Anthology of View Magazine (1940-1947), New York 1992, S. 119f.
(41) Cf. Tomkins, cf. Anm. 14, S. 140.
(42) Breton in einem Brief an seinen Freund Péret, zitiert in: Polizzotti, cf. Anm. 14, S. 733. Breton hatte etwas blauäugig die Hoffnung geäußert, dass sein 1942 erschienenes drittes surrealistisches Manifest diese Wirkung erzielen würde.
(43) Polizzotti, cf. Anm. 14, S. 757.
(44) Ibid., S. 758. Polizzotti beschreibt auch, dass Elisas Phlegma von manchen Freunde als unerträglich empfunden wurde.
(45) Breton, cf. Anm. 37, S. 60.
(46) Ibid., S. 59. Wenn Bernd Mattheus (“Ein neuer Mythos?”, in: Breton, cf. Anm. 37, S. 149-191) in seinem Aufsatz daher zu dem Schluß kommt, “André Bretons ‘Feminismus’ dürfte nicht nach dem Geschmack der Feministinnen sein” (S. 169), so ist das eine starke Untertreibung. Breton, so scharfsinnig er auch in anderen Aspekten war, erlag genau in diesem Punkt dem”Undurchsichtigen”, das er im selben Buch als den “große[n] Feind des Menschen” (ibid., S. 36) bezeichnet hatte. Gemeint waren Vorurteile, die den Blick auf die Menschen oder Dinge dahinter verstellten.
(47) Polizzotti, cf. Anm. 14, S. 738, zitiert Thirion, dem Breton sein Leid klagte.
(48) Amelia Jones spricht von der Puppe als “blatantly abused” (Jones, cf. Anm. 26, S. 84).
(49) Frances Steloff, “In Touch with Genius”, in: Journal of Modern Literature, 4. Jg., April 1975, o.S., S. 771 (I can no more disturb that window than I could alter a masterpiece. It was arranged by Breton and Duchamp themselves). Der Bericht in ähnlicher Fassung auch in: W.G. Rogers, Wise Men Fisch Here. The Story of Frances Steloff and the Gotham Book Mart, New York 1965, S. 155f.
(50) Steloff, cf. Anm. 49, S. 770 (That evening I conceived the idea of covering the ‘objectionable’ spot with Mr. Sumner’s personal card which he had left with me, and in large letters on a card beneath it the single word, ‘CENSORED.’ This drew larger crowds than before, and the display remained in the window a full week).
(51) Merkwürdigerweise hat sich bisher kein Kunsthistoriker die Mühe gemacht, die Anekdote mit der Photographie zu vergleichen und diesen Unterschied zu bemerken (cf. Abb. in: McShine/D’Harnoncourt, cf. Anm. 5, S. 137).
(52) Thomas Girst: “Marcel Duchamp’s Window Display for Breton’s Le Surréalisme et la Peinture (1945)”, tout-fait, cf. Anm. 2.
(53) Cf. einen Brief von ihr an ihren Mann Patrick Waldberg, datiert 10.11.1945 (zitiert bei Thomas Girst, tout-fait cf. Anm. 2).
(54) Nur bei Donati findet man den Hinweis, die Figur sei ein Ready-Made gewesen. Donati schreibt ihre Beschaffung jedoch nicht Waldberg, sondern Duchamp selbst zu (so Donati gegenüber Kim Whinna, tout-fait, cf. Anm. 21).
(55) Das Schleiermotiv findet sich bei Cézanne, jedoch nicht mit solch großer formaler Übereinstimmung zu Duchamps Schaufenster, auch bei Versionen der Badende, cf. Badende vor einem Zelt, Staatsgalerie Stuttgart. Überlegenswert ist auch, ob nicht der Torso aus Maschendraht, besonders aufgrund der duttartigen Ausformung auf dem Kopf, gewisse formale Parallelen mit Portraits der Madame Cézanne teilt.
(56) Benjamin Harvey (“Cézanne and Zola: ” Reassessment of L’Eternel Fémin“, in: Burlington Magazine, Jg. 140, Mai 1998, S. 312-318) unterstreicht die negative Konnotation von Cézannes Zuschaürn in L’Eternel Féminin, wenn er den Bezug dieses Gemäldes zu Emile Zolas Roman Nana herstellt. Harvey identifiziert die einzelnen Personen im Gemälde mit bestimmten Charakteren des Romans, die alle, gleich welchen sozialen Standes, der Prostituierten verfallen sind. Zola befindet sich im Vergleich zu Duchamp offensichtlich am anderen Ende des Bemühens, das Verhalten des Betrachters der Erotik moralisch zu werten.
(57) Cf. Marcel Duchamp, “The Creative Act”, Vortrag Houston 1957, abgedruckt z.B. bei Tomkins, cf. Anm. 14, S. 509f.
(58) Hinweis und Abbildung finden sich bei Jennifer Gough-Cooper und Jacques Caumont, Ephemerides on and about Marcel Duchamp and Rrose Sélavy. 1887-1968, London 1993, 29.1.1960.
(59) Das Warenhaus Bamberger konnte auf eine lange Geschichte der Kunstförderung zurückblicken, denn nicht der Gründer hatte das Kapitel für den Bau des örtlichen Museums finanziert und lange eine enge Freundschaft mit John Cotton Dana, dem Museumsleiter und Pionier der amerikanischen Museumswissenschaft, gepflegt.
(61) Cf. Lebel, cf. Anm. 1, Kat.-Nr. 183, 188 und 189.
(62) Duchamp in einem Interview mit James Johnson Sweeney, 1946, zitiert bei Tomkins, cf. Anm. 14, S. 79 [My aim was a static representation of movement, a static composition of indications of various positions taken by a form in movement – with no attempt to give cinema effects through painting. The reduction of the head in movement to a bare line seemed to me defensible (…) Therefore I felt justified in reducing a figure in movement to a line rather than to a skeleton. Reduce, reduce, reduce was my thought – but at the same time my aim was turning inward, rather than toward externals].
(63) Die Zeichnung wird bei Schwarz, cf. Anm. 14, unter der Kat.-Nr. 223 geführt. Das Archiv des Philadelphia Museum of Art belegt, dass Duchamp den Akt die Treppe Herabsteigend Nr. 3 (1916) für dieses Schaufenster ausgeliehen hat. Bei Gough-Cooper/ Caumont, cf. Anm. 58, der Hinweis, dass Duchamp die Zeichnung der Schachspieler ebenfalls dort ausgeliehen hatte.
(64) Cf. Cooper/ Caumont, Anm. 58, 29.1.1960.
(65) Cf. Henry Adams, The Education of Henry Adams, in: ders., Novels, Mont Saint Michel, the education, The Library of America, Bd. 14, S. 716-1192, bes. S. 721f. – Der Vergleich Duchamp – Adams liegt auch aus verschiedenen anderen Gründen (etwa dem gemeinsamen Interesse an Maschinen- und Jungfrauenmetaphorik) nahe. Erste durchaus erweiterbare Überlegungen hat Dikran Tashjian geleistet: “Henry Adams and Marcel Duchamp: Liminal Views of the Dynamo and the Virgin”, in: The Arts, vol. 51, May 1977, S. 102-107.
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