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Figure 1
Figure 2
Marcel Duchamp, Ătant donnĂ©s: 1° la chute d’eau 2° le gaz d’eclairage [Given:1. The Waterfall/ 2. The illuminating Gas], 1946-66. Assemblage, verschiedene Medien, ca. 242,5 cm hoch, 177,8 cm breit, 124,5 cm tief, beinhaltet: alte hölzerne TĂŒr, schwarzer Samt, Ziegelsteine, hölzerne Tafel, Schweinehaut ausgedehnt ĂŒber eine Metalarmatur und anderen Materialien (um ein weibliches Mannequin zu bilden) menschliches Haar, eine Gaslampe (Bec-Auer Art), Reisig, Aluminium, Eisen, Glas, Linoleum, Baumwolle, Lichtbirne, Leuchtstofflicht, Scheinwerfer, Elektromotor, (Philadelphia Museum of Art)
[Innenaussicht und AuĂenaussicht]
Das letzte groĂe Werk von Marcel Duchamp fĂŒhrt auf exemplarische Weise eine wortwörtliche Ăberblendung von weiblichem Körper und Bildraum vor. Dieses Merkmal wurde als entscheidend fĂŒr die geschlechterproduzierenden Techniken westlicher Bildproduktion identifiziert und ist aus diesem Grunde unter einer geschlechterorientierten Kritik der âSkopisierung des Begehrensâ zu analysieren. Wie Linda Hentschel in ihrer aufschlussreichen und prĂ€gnanten Studie von Beziehungsmustern zwischen der Geschichte optischer Apparate, der Techniken des Sehens und der historisch bedingten Geschlechterkonstruktionen dargelegt hat, geht diese fĂŒr das VerstĂ€ndnis westlicher Bildtradition grundlegende Feminisierung des visuellen Raumes mit einer Sexualisierung des Sehens einher, die eine aktive Erziehung zur Schaulust herantreibt. Der mĂ€nnliche Betrachter wird dem Bild-Raum gegenĂŒber positioniert, wie gegenĂŒber dem anderen Geschlecht. Dieses PhĂ€nomen wird, Hentschel zufolge, im Aufkommen sowohl des vermeintlich wissenschaftlichen Systems der zentralperspektivischen Vermessung des Raumes als auch in der spĂ€ter einsetzenden Technik des binokularen Sehens manifest. Nun, da beide Techniken in “Ătant donnĂ©s” (Figs. 1 and 2) medial und medienreflexiv eingesetzt werden und weil auf Frauen anspielenden Metaphern Duchamps gesamtes Werk durchlaufen, soll im Anschluss an die Argumentation Hentschels, Duchamps Stellungsnahme diesbezĂŒglich beleuchtet werden.
![Albrecht DĂŒrer, Der
Zeichner des liegenden Weibes, 1538, Holzschnitt](data:image/svg+xml,%3Csvg%20xmlns='http://www.w3.org/2000/svg'%20viewBox='0%200%20400%20143'%3E%3C/svg%3E)
Figure 3
Albrecht DĂŒrer, Der
Zeichner des liegenden Weibes, 1538, Holzschnitt, 7.5 x 21.5
cm
Als beispielhafte Darstellung des Albertinischen Fensters wurde von Hentschel auf Albrecht DĂŒrers Holzschnitt “Der Zeichner des liegenden Weibes” (1538) (Fig. 3), der Illustration zu dessen Traktat der “Unterweisung der Messung”, verwiesen. Der Holzschnitt zeigt zum einem, wie der KĂŒnstlerblick durch ein Raster hindurch auf das verdeckte weibliche Genital gerichtet ist, und zum anderen den ebenfalls durch den zentralperspektivischen Apparat ermöglichten Betrachterblick in illusionistische Raumtiefe. In der optischen Auflösung der materiellen OberflĂ€che sollte der BildtrĂ€ger einem geöffneten Fenster gleichen. Die perspektivistische Konstruktion investierte dadurch in die illusionistische Tiefe des Bildraumes, indem sie die FlĂ€chigkeit der Leinwand negierte und sie als Fensteröffnung verstand. In DĂŒrers Bild wird aber ein Zeichner dargestellt, der eine perspektivische Abbildung einer Frau anfertigt, die sich dem (mĂ€nnlichen) Betrachter halbnackt und mit geöffneten Beinen vor einer Landschaft darbietet. DĂŒrers Holzschnitt liefert damit der geschlechterforschenden Kunstwissenschaft einen Beweis dafĂŒr, dass die zentralperspektivische Apparatur in Zusammenhang mit der Genese eines voyeuristischen Blickes gesehen werden sollte. Der optisch systematisierte Raum bringt immer als Objekt des Begehrens den Wunsch nach Kontrolle des mĂ€nnlichen KĂŒnstlers/Betrachters auf dem unendlichen und in der Interpretation von Hentschel feminisierten Raum zum Ausdruck. DĂŒrers Maschine exemplifiziert, nach Hentschel, wie die geschlechterspezifische Sexualisierung des Raumes durch Sehapparaturen vollzogen wurde sowie wie diese Feminisierung des visuellen Raumes durch spezifische Weiblichkeitsinszenierungen vorangetrieben wurde. Wie die Autorin bemerkt, verlĂ€uft der “Auszug des Mannes aus dem erotischen Bild” im Laufe des 16. Jahrhunderts parallel mit dem “Einzug der Zentralperspektive in das Bild”.
DĂŒrers Holzschnitt wurde oft als ikonographische Quelle des “Ătant donnĂ©s” nicht zuletzt aufgrund der offensichtliche Ăhnlichkeit des Bildmotivs erwĂ€hnt. “Ătant donnĂ©s” vollzieht die Lenkung des Wahrnehmungsaktes durch die Fixierung auf einen bestimmten Sehwinkel und durch die EingeschrĂ€nktheit des Blickfeldes wobei dem Betrachter der Standort seines rezeptiven Aktes genau vorgeschrieben wird. Die ErschlieĂung des Werkes ist buchstĂ€blich ,nur’ durch die radikale Einhaltung des perspektivisch korrekten Standpunktes möglich. Anne d’Harnoncourt, die die Installation des Ensembles im Philadelphia Museum of Art beaufsichtigte, erlĂ€uterte Duchamps Absicht folgendermaĂen: “He was extremely interested in the limitations of points of view, so that he really controlled completely what a viewer could see.”Das Werk steckt den Blickpunkt exakt durch zwei alte und schĂ€big aussehende Gucklöcher ab, die direkt zum Genitalbereich der Puppe fĂŒhren. Mit dem Rekurs auf die Ikonographie des perspektivischen Sehausschnittes greift Jean Clair ein zentrales Thema von Duchamp auf, um die voyeuristischen Inhalte in der Tradition abendlĂ€ndischer Kunst hervorzuheben wobei Stauffer die subversive Geste hervorhebt: “Dies ‘Starren auf ein Loch’, unter Aufwendung ‘geistiger’ Hilfsmittel, das die abendlĂ€ndische Kunst seit der Renaissance auszeichnet, hat Duchamp in seinem letzten Werk (“Gegeben sei…”) auf fast grausame Weise parodiert.”
Die dem “Ătant donnĂ©s” zugeschriebene ObszönitĂ€t resultiert aufgrund sowohl der spezifischen PrĂ€sentationstechniken, als auch der verheiĂungsvollen Inszenierung des verhĂŒllten, geheimnisvollen Spektakels. Eine Untersuchung der eigentlichen Szenerie im Inneren des Ensembles kann ebenfalls zeigen, dass die eingesetzte visuelle Sprache bewusst gegen die vorgeschriebene Distanzierungsmechanismen des traditionellen akademischen Aktes verstöĂt. Die visuelle Einrahmung, die den weibliche Körper optisch fragmentiert und ihn wie aus dem Bildraum ausgeschnitten erscheinen lĂ€sst, das optische Fokussieren auf Körperöffnungen durch das bewusste Einsetzen zentralperspektivisch exakter Messungen, das VerhĂ€ltnis von minimaler Narration und maximaler Sichtbarkeit, all dies sind Merkmale, die bereits als “pornographische” Mechanismen in der Kunst etwa von Courbet und Manet identifiziert wurden. Diese âobszönenâ PrĂ€sentationstechniken verdeutlichen, dass die kritische Stellungsnahme Duchamps, sowohl der Feminisierung des Bildraumes als auch der zentralperspektivischen Systematisierung der Wahrnehmung gilt. Beiden Themen wurden exemplarisch in seinem Grossen Glass nachgegangen und finden in seinem letzten Werk eine entscheidende Weiterentwicklung.
In âĂtant donnĂ©sâ ist einerseits der Anklang an eine traditionsreiche Theorie in der Geschichte der Kunst, die seit dem florentinischen Neoplatonismus den erotischen mit dem wissenden bzw. dem kĂŒnstlerischen Blick verbindetevident, und andererseits das kritische Thematisieren der âvoyeuristische Struktur der modernen Kulturâ einleuchtend. Den letztgenannten Standpunkt hat Duchamp selbst oft in seinen ĂuĂerungen, beispielsweise gegenĂŒber bei Cabanne, gegen die âBeschauer-Gesellschaft (sic!)â vertreten. Das zentrale Thema der abendlĂ€ndischen Kunst, seit der Erfindung der Zentralperspektive, die der ReprĂ€sentation der Welt als ProjektionsflĂ€che, scheint im Werk Duchamps eine weitere Fortsetzung im Kontext des Erotizismuszu finden, indessen die Erkundung des Sehens sich mit der Interpretation des Betrachtens (seitens des KĂŒnstlers oder des Rezipienten) als Begehren verbinden. Diese Skopisierung des Begehrens sollte im Kontext seines Erotizismus-Diskurses als grundlegend fĂŒr die gesamte ReprĂ€sentations- und Bildtheorie des KĂŒnstlers, die in ihrer permanenten Rekontextualisierung immer als quasi psychoanalytischer Kommentar fungiert. Molderings bemerkte, dass das Wort ,Projektionâ bei Duchamp nicht nur wortwörtlich zu nehmen, sondern zugleich im psychoanalytischen Kontext zu deuten sei. Dieses zum Teil psychoanalytisch ausgerichtete, reprĂ€sentationskritische Denkmodell ist auf Raumwahrnehmungen und dessen ideologischen Fundamente ausgerichtet. Damit avancierte DĂŒrers âTĂŒrleinâ zum Symbol der ,sexualisiertenâ Malerei selbst, wobei Bildraum als Ort des visuellen Penetrierens verstanden wird, eine Tatsache, die mit Rekurs auf Lacans visuelle Theorie weiter nachgegangen wird.
Entscheidend ist, dass die Reduktion der Wahrnehmung auf einen perspektivisch festgelegten Ausschnitt der Wirklichkeit und die daraus folgenden âsexuellenâ Implikationen im Falle des âĂtant donnĂ©sâ mit Blick auf die Manipulation des Betrachterkörpers ĂŒberprĂŒft wird. Folglich wird der Status des Betrachters als Voyeur nicht konzeptuell behauptet oder narrativ erklĂ€rt, sondern fĂŒr den Betrachter körperlich erfahrbar gemacht.Die dem âĂtant donnĂ©sâ zugeschriebene ObszönitĂ€t resultiert durch die Produktion akuter, ziemlicher realer, körperlicher Empfindungen, die nicht zuletzt durch das in diesem Sinne ,pornographischeâ Einsetzen binocularen Techniken erfolgt, die der zusĂ€tzlichen Strategie des VerhĂŒllens, der Verbergens hinter der TĂŒr verhelfen. Dieses Einverleiben des Sehens wird nun als obszön empfunden, da die binokulare Blickinszenierung des Duchampschen Ensembles, das Gesehene zu nah an dem Betrachter selbst rĂŒckt. Duchamps Spiel mit der ,obszönenâ Natur des Sehens ist als Kritik an das entkörperlichte, distanzierten und sublimierte SelbstverstĂ€ndnis der zentralperspektivischen ReprĂ€sentierens zu deuten.
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![Anomym, Frankreich,
um 1860](data:image/svg+xml,%3Csvg%20xmlns='http://www.w3.org/2000/svg'%20viewBox='0%200%20195%20250'%3E%3C/svg%3E)
Figure 4
Anomym, Frankreich,
um 1860
Der Hinweis auf das Stereoskop als Vorlage fĂŒr das âĂtant donnĂ©sâ ist auch auf der Ebene des Bildmotivs von Bedeutung. Bekanntlich wurden Stereoskope gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend fĂŒr die PrĂ€sentation obszöner Szenen verwendet. Die IntimitĂ€t dieses Apparates machte diese neue technische Vorrichtung zum Synonym fĂŒr erotische oder pornografische Bildlichkeit. Ein Vergleich der Braut des âĂtant donnĂ©sâ mit den Stereoskop-Fotokarten (Fig. 4) des 19. Jahrhunderts, die sogar kopflose oder fragmentierte nackte weibliche Figuren mit geöffneten Beinen oder nackte Frauen vor idyllischen Landschaftskulissen zeigen, beleuchtet diese wesentliche zusĂ€tzliche Ăbereinstimmung. Dies unterstĂŒtzt die These, dass Duchamp mit seinem letzten Werk der Frage, wie die Feminisierung des medialen Raumes mit der Sexualisierung des Sehfelds einhergeht.
Kritik an den surrealistischen Weiblichkeitsinszenierungen
Duchamps Kritik an am malerischen ReprĂ€sentationsparadigma sowie der Sehdispositive, die dieses unterstĂŒtzt haben, konzentriert sich auf die Rolle der Frau als Motiv. Diese wurde oft in der Forschung in seiner individuellen Mythologie der Braut identifiziert und entsprechen interpretiert. Da jedoch âĂtant donnĂ©sâ das Motiv des erotischen weiblichen Körpers mit einem Erotisieren des medialen Raumes verbindet, sollte die Frage aufgestellt werden, inwiefern Duchamp in diesem Werk eine Kritik der mĂ€nnlich konnotierten Sehapparate und ReprĂ€sentationsmedien liefert, und ob er diese Kritik in einem konkreten historischen Kontext ansiedelt. Das Problematisieren des Frauenmotivs und der Bildfindung, wie Breton in den theoretischen Auseinandersetzungen um die surrealistische BildĂ€sthetik fixierte, scheinen in dem Werk Duchamps eine differenzierte und zum Teil kritische Fortsetzung zu finden. Um diesen Zusammenhang weiter nachzugehen, soll eine Auseinandersetzung mit Beispielen surrealistischer Ikonographie folgen, die als ikonographische Vorlagen zu âĂtant donnĂ©sâ identifiziert wurden.
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![Umschlag der Zeitschrift, La RĂ©volution
Surréaliste No. 1](data:image/svg+xml,%3Csvg%20xmlns='http://www.w3.org/2000/svg'%20viewBox='0%200%20192%20250'%3E%3C/svg%3E)
Figure 5
Umschlag der Zeitschrift, La RĂ©volution
Surréaliste No. 1, (1. Dez. 1924)
Der Rolle der Frau wird durch eine auf dem Umschlag der Zeitschrift âLa RĂ©volution SurrĂ©aliste No. 1â (1. Dez. 1924) (Fig. 5) gedruckte Fotografie deutlich. Die Zeitschrift sollte das surrealistische Programm ins Bild setzten. Das Foto zeigt eine vor der Schreibmaschine sitzende Dame (Simone Collinet-Breton), flankiert wird sie von einer Gruppe mĂ€nnlicher surrealistischer KĂŒnstler. Robert Desnos hĂ€lt eine kleine Kiste in der Hand, in die Simone Collinet-Breton direkt hinein schaut. In dieser theatralischen mise-en-scĂšne fungiert die Kiste als Symbol des verschlossenen Unterbewussten, das laut der Surrealisten durch das Verfahren der âĂ©criture automatiqueâ geöffnet werden sollte. Sie ist aber zugleich ,Pandora-Kisteâ, die den mĂ€nnlichen KĂŒnstlern von einer Frau ĂŒbermittelt wurde; ihr Inhalt ist unvorhersehbar und vermutlich gefĂ€hrlich. Die weibliche Figur verkörpert als Geberin genau die Position von Gott und Mensch zugleich, wobei sie aber zugleich auf die GefĂ€hrlichkeit dieser Gabe verweisen soll. Eine Rolle, die in der vielfĂ€ltigen surrealistischen Metamorphose der Frau als femme fatale ins Bild gesetzt wurde. Doch zugleich symbolisiert die Frau das Verfahren selbst der âĂ©criture automatiqueâ in ihrer passiven Rolle als mechanischer Schreiber, ebenfalls eine beliebte ikonographische Quelle surrealistischer Kunst. FĂŒr die Surrealisten bekommt das Weibliche eine entscheidende symbolische Funktion als Medium zum Empfang des Unbewussten und gleichzeitig als Automaton, welche diesen Empfang in Zeichen umsetzen kann, wobei das wichtigste Medium dieser Umsetzung das fotografische Verfahren ist.
Der Fotoapparat wurde von Breton als die Ikone der â Ă©criture automatiqueâ bezeichnet. Die schwarze Kiste in der Hand von Desnos ist also nicht nur ein Symbol fĂŒr die BĂŒchse der Pandora, sondern auch eine Metapher fĂŒr die dunkle Kammer. Doch entscheidend ist, dass die Ikone der surrealistischen Bilderfindung mit dem Symbol der zum Automaton stilisierten Frau gleichgesetzt wird. In der sechsten Ausgabe der gleichen Zeitschrift (1. Okt. 1927) wird diese Idee nochmals aufgegriffen und radikalisiert. Auf dem mit âLâ Ă©criture automatiqueâ betitelten Umschlag wird eine an dem Schreibpult sitzende Frau dargestellt, die in ihrer weibliche VerfĂŒhrungskraft die Funktion des Schreibautomaten ĂŒbernimmt. Die Frau in beide Fotografien ist sowohl mit dem Prozess der Bilderfindung als auch mit den Mitteln dessen Fixierung, also einer Schreibmaschine oder einem Fotoapparat etwa, gleichzusetzen.
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![René Magritte, Je ne vois
pas la [femme] cachĂ©e dans la forĂȘt, 1929](data:image/svg+xml,%3Csvg%20xmlns='http://www.w3.org/2000/svg'%20viewBox='0%200%20182%20250'%3E%3C/svg%3E)
Figure 6
René Magritte, Je ne vois
pas la [femme] cachĂ©e dans la forĂȘt, 1929, Photomontage,
in: La Révolution Surréaliste No. 12 (15. Dez. 1929)
Auf die symbolische Funktion der Frau als Bild sowie auf das Moment der TĂ€uschung, das damit verbunden ist, verweist auch das in der zwölften Ausgabe von âLa RĂ©volution SurrĂ©aliste No. 12â (15. Dez. 1929) abgedruckte Photomontage âJe ne vois pas la [femme] cachĂ©e dans la forĂȘtâ (1929) von RenĂ© Magritte (Fig. 6). In dem Bild flankieren die fotografischen PortrĂ€ts von sechzehn mĂ€nnlichen surrealistischen KĂŒnstlern, die ihre Augen geschlossen halten, das Bild eines im Dunkel stehenden weiblichen Aktes. Die Behauptung âich habe die versteckte [Frau] im Wald nicht gesehenâ kann sich auf die in der Abbildung anwesenden Personen beziehen. In diesem – surrealistisch – inszenierten Akt der Verweigerung des Sehens wird jedoch die ambivalente Funktionalisierung des Symbols âFrauâ eindeutig. Die Frau kann offensichtlich nur Quelle der Inspiration fĂŒr den Surrealisten sein, solange sie unsichtbar bleibt. Ist der Satz gleichzeitig auf den realen Betrachter bezogen, widerspricht die tatsĂ€chlich stattfindende Wahrnehmung – der Betrachter sieht ja eine Frau – der Bedeutung des simultan gelesenen Satzes. Die abgebildeten Personen befinden sich also im Stadium des Inspirationsempfanges, wĂ€hrend der Betrachter in seiner Funktion als Zeuge prinzipiell von dieser âEpiphanieâ ausgeschlossen wird. ReprĂ€sentation ist zugleich TĂ€uschung. TatsĂ€chlich wird von Magritte das Motiv der Frau ausgewĂ€hlt, um mediumspezifische ReprĂ€sentationsproblematiken, also um den Wirklichkeitsgrad illusionistischer Malerei und figurativer Abbildung im Kontext des fetischisierend- begehrenden Blickes, zu erörtern. Alle diese Beispiele surrealistischer Weiblichkeitsinszenierungen zeigen, dass ReprĂ€sentationen des weiblichen Körpers einer symbolischen Funktion zugeordnet werden, wobei diese ĂŒber den Prozess der Bilderfindung, die MedialitĂ€t des Kunstwerks und die Rolle des KĂŒnstlers Aussagen macht. Die surrealistische Inszenierung des weiblichen Körpers weist ĂŒber die erotische, fetischistische oder einfach phantastische Ikonographie hinaus und kĂŒndigt Ă€sthetische und mediumstheoretische Reflexionen an.
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![Man Ray, Coat Stand, 1920, Silbergelatinabzug, 41](data:image/svg+xml,%3Csvg%20xmlns='http://www.w3.org/2000/svg'%20viewBox='0%200%20172%20250'%3E%3C/svg%3E)
Figure 7
Man Ray, Coat Stand, 1920, Silbergelatinabzug, 41
x 28,6 cm (MusĂ©e National d’Art Moderne, Paris)
![Man Ray, Retour Ă la Raison, 1923, Silbergelatinabzug](data:image/svg+xml,%3Csvg%20xmlns='http://www.w3.org/2000/svg'%20viewBox='0%200%20200%20153'%3E%3C/svg%3E)
Figure 8
Man Ray, Retour Ă la Raison, 1923, Silbergelatinabzug,
18,7 x 13,9 cm (The Art Insitute of Chicago)
Exemplarisch fĂŒr diese These steht das Werk von Man Ray, der in seiner Motivfindung sich wesentlich dem fragmentierten oder deformierten weiblichen Körper des surrealistischen Frauenautomats bedient: In der Fotografie âCoat Standâ (1920) (Fig. 7) werden Teile des weiblichen Körpers durch mechanische Prothesen und das Gesicht durch eine grotesk lĂ€chelnde Maske ersetzt. Aber auch naturalistische Aktfotografien wie âKiki Nude (Kiki de Montparnasse)â ĂŒberraschen durch die an einen Torso erinnernde optische Einrahmung des Objektivs. Der deformierte weibliche Körper fungiert als Symbol der Formerfindung bei Man Ray, an der Stelle, an der am radikalsten mit dem fotografischen Verfahren umgegangen wird. âDas Primat der Materie ĂŒber den Gedankenâ (1929) zeigt einen liegenden weiblichen Akt, der dort, wo er am Boden aufliegt, auseinander rinnt und sich an den RĂ€ndern zu verflĂŒssigen scheint. Der Eindruck der Körperauflösung verdankt sich dem photochemischen Prozess der ,Solarisationâ. Durch die zusĂ€tzliche Belichtung des Negativs im Entwicklerbad verformen sich die Konturen auf dem Negativ, das anschlieĂend in der Entwicklung diesen verfremdeten Bildeindruck erzeugt. ReprĂ€sentation des Bildes wird bei Man Ray fast ausschlieĂlich mittels des Frauenmotivs thematisiert. Man Rays âReturn to Reasonâ (1923) (Fig. 8) zeigt ebenso den Torso einer weiblichen Figur (Lee Miller) in einer solchen Position, dass das Licht ihren Körper streift und dadurch gleichsam mit dem Hintergrund verschmilzt. Das Verschwinden oder die Auflösung des weiblichen Körpers, der gleichsam sich in Licht verwandelt oder in einen anderen Aggregatzustand ĂŒbergeht, wurde im Kontext des fotografischen Mediums thematisiert, wobei Formerfindung mit dem Eingriff auf die MaterialitĂ€t des Negativs gleichgesetzt wird.
Man kann in dem kĂŒnstlerischen Programm etwa von Man Ray erkennen, dass figurative Abbildungen des weiblichen Körpers der programmatischen Kritik des Surrealismus an der bildlichen ReprĂ€sentation schlechthin dienen. Mit der Auflösung des weiblichen Körpers im Bild, wird zugleich tendenziell die Auflösung des Bildes selbst als ReprĂ€sentationssystem thematisiert, ein Thema, dass in Bretons Konzept der âkompulsivischen Schönheitâ aufgeht. Bretons surrealistische Dogmen des Wunderbaren und der konvulsivischen Schönheit, werden in diesem Zusammenhang nicht nur als poetische Metapher, sondern auch als diejenige Instanzen, die âErfahrung von RealitĂ€t als ReprĂ€sentationâ ermöglichen, gedeutet. Sie stellen konkrete Ent- und Rekontextualisierungsstrategien dar, die in Bildkompositionen und Verfahren der Bildherstellung aufgehen. Demnach sind genau diese Strategien und nicht die von formalen bzw. piktorialen Inhalten abgeleiteten Begriffe, die der augenscheinlichen visuellen HeterogenitĂ€t der surrealistischen Kunstproduktion als einheitliche Bewegung zum Erkennen geben. Bilderfindung im Surrealismus wurde, nach Krauss, unter drei Kategorien zusammengefasst: Mimikry, das Stillstellen von Bewegung und der gefundene Gegenstand, die in formaler und zugleich thematischer Hinsicht das strukturale Prinzip surrealistischer Fotografie darstellen. Diese konzentrieren sich zum einen in den Einsatz fotografischer Bildmanipulationen in der Dunkelkammer, wie die Mehrfach-Belichtungen, Ăberlagerung von Negative, Solarisationen, BrĂ»lage-Techniken, die Verwendung von Negativ-AbzĂŒgen oder kameralosen Bilder und zum anderen in die spezifische Wahl des Motivs, dessen optische Einrahmung durch das Objektiv, die verzerrende Perspektive oder den Einsatz verfremdeter Beleuchtung.
Im folgenden soll nun die Frage ausfĂŒhrlicher beleuchtet werden inwiefern âĂtant donnĂ©sâ als paralleler jedoch kritischer Entwurf zur surrealistischen ReprĂ€sentationstheorien im Rahmen einer indexikalischen Lesart des Werkes aufzufassen sei. Sofern nun surrealistischer Automatismus, so wie dieser von Breton theoretisch fixiert und in der fotografischen Bilderfindung der 1930er zum Ausdruck gebracht wurde, im Kontext von ReprĂ€sentationskritik verstanden werden kann, bleibt die Frage, ob jener dekonstruierte Wahrnehmungsautomatismus, der in âĂtant donnĂ©sâ aufgeht, surrealistische Ăsthetik affirmiert oder negiert. Nach Bretons surrealistischem Diktum der kompulsiven Schönheit, die durch die indexikalische Funktion des fotografischen Zeichens festgehalten werden kann, wĂ€re Duchamps Spiel mit der ,obszönenâ, subjektiven und körperbezogenen Natur des Sehens selbst als Kritik am entkörperlichten und idealisierten SelbstverstĂ€ndnis der surrealistischen Imagination, zu deuten. Dass wiederum hieĂe, dass Bretons Erkunden der Schönheit einem visuellen Penetrieren des feminisierten Bildraum gleichkĂ€me, nicht weil dieses Erkunden, wie bis jetzt angenommen, das Frauenbild durch skurrile Weiblichkeitsinszenierungen, als kastrierende oder fetischisierte Instanz manipuliert, sondern weil es Sichtbarkeit per se, unhinterfragt vertraut. Diese These wird im Folgenden unter BerĂŒcksichtigung der Lacanschen Theorie des Visuellen ausgefĂŒhrt.
Das Bild als libidinöse Maschine â Der anamorphotische Erotismus
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![Gustave Courbet, Lâ Origine du monde, 1866, Ăl
auf Leinwand](data:image/svg+xml,%3Csvg%20xmlns='http://www.w3.org/2000/svg'%20viewBox='0%200%20250%20205'%3E%3C/svg%3E)
Figure 9
Gustave Courbet, L’ Origine du monde, 1866, Ăl
auf Leinwand, 46 x 55 cm (MusĂ©e d’Orsay, Paris)
Die Skopisierung des Begehrens scheinen nicht nur der zentrale Themenbereich von Duchamps Kunst zu sein, sondern bildet auch die Grundpfeiler des Lacanschen Systems. Inwiefern Duchamp mit den Theorien Lacans vertraut war, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, obwohl der Psychoanalytiker wahrend der 1930er Jahre in den Kreisen der Surrealisten verkehrte und theoretisch in regem Austausch mit Mitgliedern der Gruppe stand. Man muss jedoch davon ausgehen, dass auch seine persönliche Freundschaft zu Duchamp zu einem wechselseitigen Einfluss wesentlich beigetragen hat. Es scheint, dass das im Besitz Jacques Lacans befindliche GemĂ€lde Courbets âLâ origine du mondeâ von 1866 (Fig. 9), das vielfach als ikonographische Quelle der Bildfindung Duchamps erwĂ€hnt wird, auf emblematische Weise diese geistige Verwandtschaft dokumentiert.
Das nachtrĂ€glich als âUrsprung der Weltâ betitelte Bild von Gustav Courbet ist ein kleinformatiges GemĂ€lde, das perspektivisch einen weiblichen Unterleib umrahmt und den Blick auf eine unverstellte, lebensgroĂ dargestellten Vagina richtet. Wie fĂŒr solche Motive nahe liegend malte Courbet es in privatem Auftrag, was schon recht eindeutig fĂŒr Pornographie spricht. Das Interesse und die Aufmerksamkeit, die dem Bild entgegengebracht werden, findet ihren Ausgang weniger in der direkten pornographischen Zurschaustellung des weiblichen Körpers, sondern auch darin, dass das Bild versteckt blieben musste. Die Chronik der Aufbewahrungsorte des GemĂ€ldes und die Tatsache, das es die meiste Zeit seit seiner Entstehung 1866 unsichtbar geblieben erzeugt kulturtheoretische Reflexionen, die dieses Spiel um Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit mit sich bringen. Das Bild galt bis 1995 als verschollen und war nur als Reproduktion bekannt. ZusĂ€tzlich wurde es in an seinem ursprĂŒnglichen Ausstellungsort immer verhĂŒllt aufbewahrt, um neugierige Blicke auf das GemĂ€lde zu versperren. In seinem letzten, privaten Aufbewahrungsort, Lacans Landhaus, hing es hinter einem von dem Dichter AndrĂ© Masson speziell zu diesem Zweck verfertigten âPanneau-masqueâ (1955), eine Vexierzeichnung, die durch das Nachziehen der Umrisse des weiblichen Körpers entstand, und somit auch als HĂŒgellandschaft gelesen werden konnte.
Unter BerĂŒcksichtigung, dass Courbets erotisches Werk, unter anderem das Bild âFrau mit weiĂen StrĂŒmpfenâ (1861) als direkte ikonographische Quellen des SpĂ€twerks von Duchamp anzufĂŒhren sind und der individuellen Thematik Duchamps im Kontext seiner Braut-Mythologie, die ebenfalls um Sichtbarkeit und Nicht-Sichtbarkeit kreist, kann behauptet werden, dass âLâ origine du mondeâ bzw. die Geschichte seiner Ver- und EnthĂŒllungen dem KĂŒnstler bekannt war. Obwohl nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob und wann Duchamp das GemĂ€lde und das Panneau von Andre Masson, das Courbets GemĂ€lde verhĂŒllte, bei Lacan gesehen haben hat, verfĂŒhrt diese Annahme dazu, Parallelen in der Rhetorik der VerhĂŒllung zwischen den PrĂ€sentationsumstĂ€nden des âLâ origine du mondeâ und âĂtant donnĂ©sâ zu ziehen. Zuallererst spielt Massons Panneau auf einen Maskierungseffekt an. Die HĂŒgellandschaft, die durch das Nachzeichnen der Torsokonturen entstand, hat die Funktion eines Schleiers ĂŒbernommen, der den erotisierenden Charakter des Körperfragments enthĂŒllt, wobei es Körperöffnungen zu verhĂŒllen vorzugeben vermag. Dieser Zustand des ambivalenten visuellen Entzug und des Ăbergangs des Körpers zum Landschaftsbild ist auch motivisch bei âĂtant donnĂ©sâ vertreten. Zugleich scheint das visuelle Hindernis der HolztĂŒr auf der VerhĂŒllung der Ansicht auf das GemĂ€lde von Courbet in Lacans Landhaus anzuspielen. Auch die bereits erwĂ€hnten âpornographischenâ Mechanismen, wie die visuelle Einrahmung, die den weiblichen Körper optisch fragmentiert und ihn wie aus dem Bildraum ausgeschnitten erscheinen lĂ€sst, das optische Fokussieren auf Körperöffnungen durch das bewusste Einsetzen zentralperspektivisch exakter Messungen, das VerhĂ€ltnis von minimaler Narration und maximaler Sichtbarkeit, sind Merkmale, die beide Werke verbinden.
Diese Parallelen lassen darauf schlieĂen, dass sowohl bei Lacan und Duchamp Ă€hnliche theoretische Interessen vorliegen.
Skopisierung des Begehrens – Lacans Blick als âobjet aâ
Die geistige Verwandtschaft zwischen Lacan und Duchamp besteht in einer analogen Denkhaltung, hinsichtlich des Blick- Bild- Diskurses, der fĂŒr die philosophische Avantgarde französischer Provenienz in den 50er und 60er Jahre symptomatisch ist. Die Lacansche Theorie von Sehen basiert auf einem grundlegend antipodischen VerhĂ€ltnis zwischen versprachlichter Signifikantenkette und dezentriertem, gleichsam ent- subjektiviertem Subjekt. Sie kulminiert in einer Reihe von vier Seminaren, die Lacan 1964 gab und neun Jahre spĂ€ter von seinem Schwiegersohn Jacques-Alain Miller in der Schriftensammlung âDie Vier Grundbegriffe der Psychoanalyseâ in dem Kapitel âVom Blick als Objet Klein aâ publiziert wurden. Lacans bemerkenswertes VerknĂŒpfen von Auge und Blick stellt einen Versuch dar, sowohl eine ReprĂ€sentationstheorie, was ein Bild sei, zu entfalten, wie auch einen Diskurs der Perzeption und des Begehrens, so wie dieser in seinen frĂŒheren VortrĂ€gen ĂŒber das Spiegelstadium aufscheint, zu einer Ontologie zu erweitern.
Wie bei Sartre und Merleau-Ponty resultiert Lacans Theorie aus der Verflechtung von Blick und Körper, deren antipodisches VerhĂ€ltnis er aus der Dialektik eines intersubjektiven Blickes abzuleiten suchte. Nun macht Lacan geltend, dass dieser Blick âein von mir auf dem Feld des Anderen imaginierter Blick ist.âDie ReflexivitĂ€t des Blickes bzw. Angeblicktwerdens bedarf im Unterschied zu Sartre keines aktiven GegenĂŒbers. An dieser Stelle mĂŒsste man die Dialektik des Auges und des Blickes der von Lacan beschriebenen, autobiografischen Szene der SardinenbĂŒchse entfalten, um die scheinbar paradoxe Analogie der Lacanschen These zu verdeutlichen, nĂ€mlich dass der Blick immer der Blick des Anderen ist, der â verschoben – von mir aus sieht, wo ich zu sehen meine. In dem, was wir sehen, steckt immer ein Punkt, von dem aus uns das Bild – also der von uns als Bild wahrgenommene, visuelle Abschnitt des Sichtbaren – selbst ansieht, eine Stelle, an der wir selbst schon in das Bild eingeschrieben sind. Das ist die primĂ€re subjektivierende Funktion dieses merkwĂŒrdig inkarnierten Blickes, so wie dieser in der Lacanschen Blickökonomie dargestellt wird. âVon Grund aus bestimmt mich im Sichtbaren der Blick, der im AuĂen ist.â Lacan begreift in seiner Blickökonomie den Blick als das Objekt klein a im Feld des Sichtbaren. Lacan bettet den Begriff des dezentrierten Subjekts in eine âDialektik des Begehrensâ ein (Subversion du sujet et dialectique de dĂ©sir dans lâinconscient freudien, 1966). An Freuds Theorie des Wunsches anknĂŒpfend, siedelt Lacan die Operation des Begehrens in einer strukturellen Umkehrung des Wunsches nach der PrĂ€senz des begehrten Objektes an.Das gespaltene Subjekt wird also nach Lacan immer in Korrelation zu einem Objekt gedacht. Es handelt sich dabei um Lacans berĂŒhmtes âobjet petit aâ (von dem französischen Wort autre), das die LĂŒcke der symbolischen Struktur, die das Subjekt ist, schlieĂt. Dieses âkleine aâ kann ein bloĂer Anschein sein (das Objekt ist völlig gleichgĂŒltig und seine Bedeutung nur autoreflexiv); es kann als Rest, Ăberbleibsel des Realen fungieren, oder eine stumme Verkörperung eines unmöglichen GenieĂens sein.
In dieser Unmöglichkeit, BedĂŒrfnis und Begehren in Einklang zu bringen, drĂŒckt sich nicht nur ein âSeinsmangelâ des Menschen aus; sondern in seinem differentiellen Verweisen auf den Anderen bleibt dieses Begehren der symbolischen Ordnung des Unbewussten unterworfen. Wir sind zu einer Art stĂ€ndigem symbolisierenden Begehren verurteilt. Zu Menschen haben wir nur insofern ein VerhĂ€ltnis, als wir sie mit einer phantasmatischen Stelle, d.h. mit einer Stelle der symbolischen Struktur identifizieren – wir verlieben uns in eine Frau, insofern sie den phantasmatischen ZĂŒgen der Frau entspricht. Dieses Begehren unterliegt nicht nur den metonymischen Verschiebungen innerhalb der Signifikantenkette, sondern ist selbstreflexiv. In den Worten von Slavoj ĆœiĆŸek: âDas Begehren ist also immer ein Begehren des Begehrens.â
Lacans Theorie lĂ€sst sich durch seine grafischen Schemata jener ReflexivitĂ€t des Blicks verdeutlichen. Ausgehend von der PrĂ€senz eines vorhandenen Objektes entwirft Lacan sein erstes lineares Schema vom âgeometralen Sehenâ, das ĂŒber das âBild(image)â fĂŒhrend in einem âGeometralpunktâ mĂŒndet. Es handelt sich dabei um die bekannte Sehpyramide, mit deren Hilfe die Verortung des Blickes, bzw. die Systematisierung des Raumes stattfindet. Der Fluchtpunkt sollte den Augenpunkt entsprechen; wobei die Konstruktion des Augenpunkts die jeweils dargestellte Welt auf den Sehenden zu zentrieren hatte. Die Perspektive galt einfach als eingewandte Optik und Geometrie und gab vor, ein Abdruck des Netzhautbildes und damit Analogon des Auges zu sein. Der traditionelle Diskurs ĂŒber die Optik reflektiert die Unmöglichkeit, eine konkrete Unterscheidung zwischen dem geometrisierenden, scheinbar objektivierenden Sehen einerseits, und der tatsĂ€chlichen, physiopsychologisch erklĂ€rbaren visuellen Wahrnehmung andererseits, treffen zu können. Dieser Diskurs unterstellt, nach Lacan, die Konstitution eines Subjektes, das genau auf die Konstruktion des ideellen Systemraums angewiesen ist. Er begreift die Perspektive als eine ideologisch gestiftete Stellungnahme zur Welt, die nur deshalb als natĂŒrliche erscheinen kann, weil sie historisch zur Gewohnheit wurde.
FĂŒr die abendlĂ€ndische Tradition des zentralperspektivischen ReprĂ€sentationssystems – Albertis Sehpyramide – das nicht nur zum Prototyp fĂŒr das Erzeugen von Tafelbildern wurde, sondern als Inbegriff des objektivierten Bildes auch maĂgebend fĂŒr unser alltĂ€gliches VerstĂ€ndnis von sichtbarem Raum gilt, ist nur ein senkrechter Sehschnitt der Sehpyramide legitim bzw. nur ein daraus konstituiertes, sehendes Subjekt möglich. Lacans Entwurf schlieĂt an die in den Kreisen französischen Denkens wiederholten Kritik an der Vorstellung eines transparenten, stabilen Individuums, welches nicht nur eine Trennungslinie zwischen Sehendem und Gesehenem propagiert, sondern darĂŒber hinaus die Vorherrschaft und vermeintlich Kontrolle des Subjekts ĂŒber seine Objekte festlegt. Das zweite grafische Dreieckschema, das Lacan benutzt, um diesmal das System des âvisuellen Raumesâ zu konstruieren, operiert in umgekehrter Richtung zu den vorangegangenen und geht von der Existenz eines âLichtpunktesâ aus, der sich ĂŒber den âSchirm (Ă©cran)â zum âTableauâ hin ausbreitet. Dieses Schema exemplifiziert diese Kritik an das zentralperspektivische System als ideologisches System und gilt als schematische Grundlage des subjektiven, verkörperlichten Sehens. Der âSchirm (Ă©cran)â dient als ProjektionsflĂ€che des Lichtpunktes und funktioniert wie ein dazwischen geschaltetes Hindernis, dessen Schatten auf dem Tableau fehlt. Versteht man âĂ©cranâ als ProjektionsflĂ€che in psychoanalytischem Sinne, wĂ€re der Schutzschirm unsere subjektive Vorstellung von der RealitĂ€t, die immer eine Projektion mit beschĂŒtzender Funktion bleibt.
Das Interessante an Lacans Untersuchungen ist, dass er zwei Traditionen der Bildlichkeit miteinander verbindet, nĂ€mlich den Diskurs um die Konstruktion der geometrischen, nach den Regeln der Zentralperspektive konstruierten Optik, in die die Kartesische Tradition der Subjektbildung, die sich auf dem VerstĂ€ndnis des Sehens als individualisiert und verkörperlicht grĂŒndet, aufgeht. Eine dritte Graphik jedoch, die Lacan âdem tatsĂ€chlichen Funktionieren des Registers des Sehensâ nennt, entspricht dieser Konfrontation. Hier hat Lacan die zwei vorherigen Dreiecke ĂŒberlappend zusammengesetzt, um die Verflechtung von diesen zwei Operationen zu verdeutlichen. Durch das chiasmische Ăberlappen der zwei FlĂ€chen ergab diese neue Abbildung, in der die mittleren Abschnitte beider Dreiecke, vom âBild (image) / Schirmâ eingenommen wurde. Auf der Linie rechts kommt die Spitze des ersten Dreiecks zu liegen, der Geometralpunkt des cartesianischen Subjekts, das Lacan hier mit âSubjekt der Vorstellungâ bezeichnet. Aus der Linie links kommt die Spitze des zweiten Dreiecks zu liegen, der Lichtpunkt des Sehfeldes, das nun mit âBlickâ bezeichnet wird. Interessanterweise verbindet Lacan hier das âBild(image)â mit dem âSchirm (Ă©cran)â, wobei der Gedanke suggeriert wird, dass jedes Bild, obgleich ob als ReprĂ€sentation oder als Seheindruck immer eine ProjektionsflĂ€che (immer im doppelten Sinn) bleibt. Dieser ProjektionsflĂ€che vermittelt zwischen den entsubjektivierten Blick und dem skopisierten Subjekt.
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![Hans Holbein der JĂŒngere, Jean de Dinteville and
Georges de Selve](data:image/svg+xml,%3Csvg%20xmlns='http://www.w3.org/2000/svg'%20viewBox='0%200%20250%20229'%3E%3C/svg%3E)
Figure 10
Hans Holbein der JĂŒngere, Jean de Dinteville and
Georges de Selve (Die Ambassadoren), 1533, Ăl auf Eichenholz,
207 x 209.5 cm (National Gallery London)
Vergleicht man die zwei vorherigen Schemata mit dem dritten des Chiasmus, so wird die Position des Subjektes nĂ€her definiert. Es ergibt sich, dass das Subjekt der Vorstellung zwischen Geometralpunkt und dem peripheren Tableau situiert ist. Versteht man diese Gleichung als Beschreibung der Akt des Sehens, wĂŒrde es bedeuten, dass das Subjekt der Vorstellung immer innerhalb eines von weiteren Sehpunkten abgesteckten Sehfeldes befindet und deswegen nie in der Spitze einer auf das Auge hingerichtete Sehpyramide positioniert sein kann. Das Subjekt ist immer auĂerhalb des Sehfeldes seines eigenen Blickes. Lacan greift auf Merleau-Ponty, der die traditionelle Unterscheidung zwischen sehendem Subjekt und sichtbarem Objekt durch die Einsicht in die Leibhaftigkeit des Sehens in Frage stellte, und ein Subjekt konstruierte, das nicht auf das Sehvermögen beschrĂ€nkt: es ist fĂŒr sich selbst, fĂŒr âandereâ und fĂŒr âanderesâ sichtbar.Umgekehrt ist fĂŒr Merleau-Ponty das Sichtbare dem Sehenden nicht nur passiv ausgesetzt. Der Sehende ist vielmehr derjenige, durch den sich das Sichtbare selbstbezĂŒglich realisiert und sieht. Er spricht vom einem Sehend-Sichtbaren und einem Sichtbar-Sehendem. In diesem Sinne ist das Lacansche Sehfeld als ein System ineinanderverflochtenen, labyrinthischen Sehpyramiden, die von Objekten, in dem Sinne Sehend-Sichtbaren zusammengesetzt wird. Lacan exemplifizierte seine Theorie in seiner idiosynkratischen Lesung der anamorphotischen Darstellung. FĂŒr ihn ist das zentralperspektivische System nur ein Sonderfall des Sehens, das wie ein allgemeines Verfahren zur Erzeugung von Anamorphosen gedacht wird, und nicht umgekehrt: âIch bin nicht einfach jenes punktförmige Wesen, das man an jenem geometralen Punkt festhalten könnte, von dem aus die Perspektive verlaufen soll. Zwar zeichnet sich in der Tiefe meines Auges das Bild/ tableau ab. Das Bild ist sicher in meinem Auge. Aber, ich bin im Tableau.â
Lacan negiert die konventionell Gewissheit des immer wieder als transparent und stabil gedachten Individuum, es besitze Meisterschaft und Kontrolle ĂŒber die Objekte. In seiner Interpretation des GemĂ€ldes âDie Ambassadorenâ von Hans Holbein (Fig. 10) wurde dieses vom dominierenden cartesianischen Blick regierte Sehen, durch ein anderes herausgefordert, das durch den verzerrten SchĂ€del an der Unterseite der Leinwand ausgedrĂŒckt wurde, ein SchĂ€del dessen natĂŒrliche Form nur durch einen schiefen flĂŒchtigen Blick vom Rand des GemĂ€ldes wieder optisch hergestellt werden könnte. Solch ein Gegenstand, den Lacan mit solchen surrealistischen Bildern wie die weichen Uhren Dalis verglich, drĂŒckte eine andere Art des Sehens aus und konstituierte ein anderes Subjekt. Der anamorphotische SchĂ€del ist im unpersönlichen, diffusen und unzentrierten Sehen, das vom GemĂ€lde diktiert wird zu finden, anstatt als Bild im phallischen Auge des geometrisierten Subjektes. Nach der AuffĂŒhrung von Jay, â[…] the eye is that of the specular, Cartesian subject desiring specular plenitude and phallic wholeness, and believing it can find it in a mirror image of it self, whereas the gaze is that of an objective other in a field of pure monstrance.â Dieser fĂŒr das Lacansche Denken grundlegende Unterschied zwischen Sehen und Ersatzsehen, das das geteilte Lacansche Subjekt definiert, wird noch zu erklĂ€ren sein.
Duchamps anamorphotisches Dispositiv â âein Scharnierbild machenâ
Es stellt sich zunĂ€chst die Frage, ob das Duchampsche Sehdispositiv von ââĂtant donnĂ©sâ diese grundlegende Dissymmetrie von Sicht und Blick als körperbezogene Vorrichtung, als Inszenierungsmechanismus der Wahrnehmung, medial umsetzt. Das Sehdispositiv von ââĂtant donnĂ©sâ operiert wie ein Lacansches Bild (image)/Schirm, das/der als kontinuierliches ,Spiegelnâ zwischen Blick und Subjekt, den Sehenden immer wieder auf die Grenzen seines eigenen subjektkonstituierenden ,Erblicktwerdens zurĂŒckwirft. Duchamp konstruiert ein Sehdispositiv, eine Synthese aus Camera Obscura und Stereoskopik, um jene der klassischen, illusionserzeugenden Dispositive (das GemĂ€lde, die Fotografie) zu dekonstruieren. Es soll nochmals betont werden, dass die Besonderheit dieses Werkes genau in der Art seiner AusfĂŒhrung besteht. Sie ruft einen spezifischen Wahrnehmungsmodus hervor. Es handelt sich um eine Plastik, die als ,GemĂ€lde maskiert ist, und um ein GemĂ€lde, das keine materielle PrĂ€senz hat. Es entsteht durch die Eingrenzung des Sehausschnittes und ist nicht permanent sichtbar, sondern nur dann, wenn seitens des Betrachters eine Intention besteht, das Werk zu sehen, also durch die Gucklöcher zu blicken. Es ist das einzige ,GemĂ€lde, das nicht gleichzeitig von mehreren als einen Betrachter gesehen werden kann. Also ein Bild, das, wie schon erwĂ€hnt, direkt an die leibliche PrĂ€senz eines Performers/Betrachters. Der Betrachter Duchhamps Werk befindet sich gewissermaĂen in der Position des Malers – wie bei den berĂŒhmten Zeichenmaschinen der Renaissance. Er produziert selbst das Bild, weil es allein vom individuellen Bildeindruck zusammengesetzt wird.
Das Entstehen dieses Bildeindruckes bzw. das Vermögen des Betrachters, ein Bild zu sehen, hĂ€ngt ausschlieĂlich von der Logik der Sichtbarkeit ab. âĂtant donnĂ©sâ funktioniert wie ein erweitertes trompe lâoeil. Um ein Bild zu sehen, muss man die perspektivisch korrekte Stellung vor den Gucklöchern der TĂŒr immer einhalten. Duchamp zeigt mit diesem Trick, ganz im Sinne Lacans, dass das Albertinische Fenster einen Sonderfall der Anamorphose darstellt und enthĂŒllt dadurch die verdeckten peripheren Momente der Sichtbarkeit. Man kann nie beim Blicken durch die Gucklöcher seinen eigenen Körper sehen. Die Einsicht der Leibhaftigkeit des Sehens ist konstitutiv fĂŒr die Ununterscheidbarkeit zwischen sehendem Subjekt und sichtbarem Objekt. So kann ich beim Betrachten nie meiner selbst gewahr werden. Die (wahrgenommene) RealitĂ€t bleibt marginal. Man kann aber auch sagen, dass Wahrnehmungsraum und reprĂ€sentierter Raum deckungsgleich werden. Der Betrachter ist beim Betrachten im wahrsten Sinne des Wortes im ,Tableauâ und wird gewissermaĂen von dem zu betrachtenden Objekt erblickt.
SchlieĂlich sei noch auf eine weitere Analogie zwischen Duchamp und Lacan hingewiesen. FĂŒr beide befindet sich das Bild stĂ€ndig in Zustand des Entziehens. Wenn Lacan das Sehen (bzw. das Erblicktwerden) als Objekt klein a bezeichnet, gelangen wir weiterhin zum bedeutungsgenerierenden Komplex des Phallischen. Lacan bestimmt in seiner Theorie den Phallus als das Symbol des âSeinsmangelsâ schlechthin. Phallus ist der âSignifikant ohne Signifikatâ, dieses Symbol steht paradigmatisch fĂŒr die Wirkung der Signifikantenkette auf den Sinn (das Signifikat), es verkörpert die Instanz des Bedeutungsschaffens. âDie Zeichensetzung des Phallus ist gleichbedeutend mit der Schöpfung der symbolischen RealitĂ€t; durch sie erlangt das Seiende fĂŒr ein Subjekt Sinn und Bedeutung. […] Die Gewalt des Phallus besteht in der Unterwerfung und VerbuchstĂ€blichung des Realen.âDoch jeder Versuch, den Phallus zu reprĂ€sentieren, also ein Bild zu machen, kehrt die Richtung des Bedeutens um. Michael Wetzel hat eine Interpretation der Bildtheorie Lacans mit Blick auf den Kontext des Phallischen unternommen. Der gesamte Komplex des Phallischen, des âZeichenmachers der symbolischen Ordnungâ besteht demnach nur in diesem Spiel von An- und Abwesenheit im Bild, in dieser vermeintlichen PrĂ€senz, dem Wissen, dass der Phallus nur im Bild ist und dabei als Fetisch auftaucht. âWenn niemand den Phallus hat, alles aber Phallus sein kann, so gilt dies nur unter der Bedingung des ontologischen Status der Bilder. Denn was das VerfĂŒhrerische der Bilder ausmacht, ist ihr Entzug.â Es ist dann grundsĂ€tzlich das, was sich uns entzieht und das nur in seinen Ersatzformen existiert. Um die Lacansche Terminologie zu benutzen, jedes realisierte Bild oder Seheindruck hat den Status eines Ersatzes, also ist als âkleines a zu verstehen, das als Symbol des phallischen Mangels.
Bringt man in Erinnerung das dritte Lacansche Schema, âdas tatsĂ€chliche âFunktionieren des Registers des Sehensâ, stellt man fest, dass in der Graphik der Blick zwischen Objekt und Lichtpunkt situiert ist. Das ist in Lacans Geometrie nachvollziehbar, da der Blick immer dem Lichtpunkt des Objektes erfasst. Folgt man jedoch diese Logik, wird deutlich, dass der Blick andere Teile des Objektes auĂer Acht lĂ€sst, da er sich primĂ€r auf den Lichtpunkt konzentriert. Diese graue Zone des Sehens wurde in Lacans Theorie als âSkotomâ beschrieben, ein der menschlichen Natur inhĂ€rentes Prinzip der Verkennung. Blinde Punkte, deutete Lacan an, sind unheilbar. Der Blick kann das Objekt (das Gesicht der Geliebten, eine SardinenbĂŒchse, die in der Sonne spiegelt oder ein Tafelbild) insofern nur partiell erfassen, und als solches bleibt jedes Sehen einer phantasmatischen Zustand verhaftet. Das Auge ist das des skopischen, Kartesischen Subjekts, das vollkommen visuelle Erfassbarkeit der RealitĂ€t und âphallischeâ Gesamtheit wĂŒnscht und immer glaubt diese in einem Ersatzbild zu finden. Sehen ist fĂŒr das geteilte Lacansche Subjekt nur im Zustand seines Entzuges möglich.
âĂtant donnĂ©sâ, als Sonderfall einer anamorphotischen Momentaufnahme demonstriert den phallischen Blick, der mit Kartesischen skopischen Regeln deckungsgleich ist. Duchamp hat diese Eigenschaft des Bildes – jedes Bild ist ein verschleiertes Bild, ein Bild im Zustand des Entzuges, und zugleich ein kastrierendes Dispositiv – in seiner MedialitĂ€t bewiesen und dadurch in seiner Absicht, durch Illusion zu verdecken, entlarvt. Der perspektivische Fluchtpunkt, der Nullpunkt der Sichtbarkeit dieses dioramatischen Environments ist (nach konkreten Berechnungen bei dem Montieren des Ensembles) der körperliche Verweis auf die SexualitĂ€t. Er ist der inkarnierte Blick des imaginierten Anderen, der â verschoben – von mir aus sieht, wo ich zu sehen meine.Und damit wĂ€ren alle Betrachter, einschlieĂlich Breton gemeint. Die ,mĂ€nnlichâ dressierten Betrachter, genieĂen als unverschĂ€mte Voyeure im stillen und dunklen Auditorium ein kinematografisches Schauspiel und werden zugleich, nach Lacans Worten, von ihm mit einem Schnappschuss âfoto-grafiert.â
In Wirklichkeit ist die absolut hyperrealistische Szene von âĂtant donnĂ©sâ eine leere, blinde Wand, ein Bild im Zustand des Entzuges. Es gibt nichts zu sehen. Da, wo man meint zu sehen, klafft nur der Abgrund der Inszenierung des Blickes selbst auf. Re- PrĂ€sentieren bedeutet eigentlich, ein Absentes prĂ€sent zu machen. Durch modifizierte Wahrnehmungsoperationen, die vom KĂŒnstler/ Sehmaschinen- Konstrukteur einkalkuliert wurden, wird bei âĂtant donnĂ©sâ das Re- PrĂ€sentieren zum PrĂ€sentieren. Es handelt sich im Grunde um eine Umkehrung der zeitlichen Abfolge. Absent ist nicht die darzustellende Wirklichkeit. Sie ist immer da, verborgen hinter der TĂŒr. Absent ist die bereits dargestellte Wirklichkeit. Sie bedarf der Mitarbeit des Betrachters, um ,enthĂŒlltâ zu werden. Die Darstellung ist ,nurâ wĂ€hrend des Wahrnehmungsaktes fĂŒr den subjektiven Betrachter und nur fĂŒr ihn existent. ReprĂ€sentierte Zeit und Zeit der ReprĂ€sentation sind deckungsgleich.
Das âĂtant donnĂ©sâ wurde als der letzte Akt der Moderne bezeichnet. Man kann aber genauso gut sagen, dass wir es hier mit dem letzten Bild zu tun haben. Durch die immer wieder âverzögerte, mediale Rekonstruktion des Blickes als Bild, die der Partizipation des Betrachters bedarf, findet diese quasi Fetischisierung des Blicks statt, die EntblöĂung des (phallischen) Begehrens nach dem Sehen selbst. Wenn Lacan das âGeheimnis der Psychoanalyse so formuliert, dass âes keinen Geschlechtsakt gibt, [darum] aber die Geschlechtlichkeitâ, scheint er Duchamps These von der Kunst als einem nie als realen Akt vollzogenen Erotismus, eine Verzögerung im Glas, zu bestĂ€tigen. Duchamp hatte im Kontext verschiedenartiger Diskurse (die NichtĂŒbereinstimmung von dreidimensionalem und vierdimensionalem Raum, die Mann- Frau- PolaritĂ€t, die Divergenz von âapparenceâ und âapparitionâ, die Diskrepanz von Sehen und Haptischem) immer auf den unmöglichen âKoitus durch eine Glasscheibe hindurchâhingewiesen. Was Freud in seiner 1922 Essay âDas Medusenhauptâ schreibt, scheint die Situation von âĂtant donnĂ©sâ zu umschreiben. Die Frau hĂ€lt in apotropĂ€ischer Geste den Blick des Betrachters selbst empor (gaz = gaze = Blick), petrifiziert den immobilen Betrachter im wahrsten Sinne des Wortes, demonstrierend, dass jedes Sehen ein Phallus ist (phaos = Licht> phalos = leuchtendenes Objekt > phallus).
Duchamps Nackte ist fragmentiert und kastrierend; sie ist augenblicklich und bleibt fĂŒr immer verhĂŒllt, weil sie eben auf dem unĂŒberwindbaren eigenen Narzissmus des Betrachters grĂŒndet. Es existiert nur der kastrierende Blick auf die phallusartige, lichtreflektierende Gaslampe und der narzisstische Blick auf die OberflĂ€che eines flieĂenden Wassers, dessen Strömung die Gestalt des optischen Reflexes mit sich fortreiĂt. Nochmals: âGegeben ist: als erstes der Wasserfall und als zweites das Leuchtgas. Und doch eröffnet diese Kunst unendliche Möglichkeiten, und spornt unsere Suchabsichten nach der luziden, nackten Wahrheit an.
ANMERKUNGEN
1. Hentschel, Linda, Pornotopische Techniken des Betrachtens: Raumwahrnehmung und Geschlechterordnung in visuellen Apparaten der Moderne, Marburg 2001.
2. Hentschel (wie Anm. 1), S. 30.
3. Hentschel (wie Anm. 1), S. 29.
4. Harnoncourt, Anne dâ; Hopps, Walter (Hrsg.), Reflections on a New Work of Marcel Duchamp, Philadelphia Museum of Art Bulletin 64, nos. 299-300 (April-September 1969), 6-58, Nachdruck, No. 2, 1987, S. 11.
5. Clair, Jean Marcel Duchamp ou le grand fictif, Paris 1975, S. 157f.
6. Serge Stauffer, in: Stauffer, Serge (Hrsg.), Marcel Duchamp, Die Schriften, ZĂŒrich 1981, S. 37.
7. Hentschel (wie Anm. 1), S. 64f.
8. Paz, Octavio: Nackte Erscheinung. Das Werk von Marcel Duchamp, Berlin 1987.
9. Molderings, Herbert, Marcel Duchamp, Parawissenschaft, das Ephemere und der Skeptizismus, Frankfurt a.M.; Paris 1983, S. 73.
10. Cabanne,
11. Vgl. Duve, Thierry de, Pikturaler Nominalismus. Marcel Duchamp. Die Malerei und die Moderne, MĂŒnchen 1987, S. 113.
12. Wie Wilfried Doerstel betont: âDies war auch die herausgearbeitete Voraussetzung und Form der Duchampschen symbolischen Form, dass TĂ€uschung real vollzogen wird, dass die rezeptiven TĂ€tigkeiten, deren Charakter und Bedingungen vermittelt werden sollen, tatsĂ€chlich durchzufĂŒhren sind, um sie dabei in ihrer Verlaufsform vermittelt zu bekommen. Erfahrbar gemacht wird bei der Duchampschen symbolischen Form der Charakter der kulturellen TĂ€tigkeit, nicht nur der Blickwinkel oder das Ergebnis von Interpretation. […] Die Erfahrung des Betrachters bezieht sich, auĂer auf die materiellen TĂ€uschungsmittel, allerdings offensichtlich nur auf sich selbst als der Quelle des Blicks, als dem Ursprungsort der Konstituierung.â Doerstel, Wilfried, Augenpunkt. Lichtquelle und Scheidewand; die symbolische Form im Werk Marcel Duchamps unter besonderer BerĂŒcksichtigung der Witzezeichnungen von 1907 bis 1910 und den Radierungen von 1967/68, Köln 1989, S. 261.
13. Vgl. Krauss, Rosalind E.: The Optical Unconscious, Cambridge, Mass.; London 1993, S. 111.
14. Krauss (wie Anm. 13), S. 133f.
15. Vgl. Ramiréz, Juan Antonio, Duchamp. Love and Death, Even, London 1998, S. 240.
16.Joselit, David, Infinite Regress, Marcel Duchamp 1910-1941, Cambridge, Mass.; London 1998; Paz (wie Anm. 8).