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Gadget and Re-made: |
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Die Geschichte des Duchamp-schen Fahrrad-Rades ist häufig erzählt worden und hinlänglich bekannt. Ein Aspekt hat dabei jedoch oftmals zu wenig Berücksichtigung gefunden: die Benutzbarkeit dieser eigentümlichen Apparatur.
Rhonda Roland Shearer hat in jüngster Zeit nachzuweisen versucht, daß es sich zumindest bei der zweiten, 1916 in New York entstandenen Version der Roue de Bicyclette um ein statisch äußerst fragiles Gebilde handelte. Könnte die Kombination von Vorderradgabel nebst Felge und einem Hocker, so fragt Roland Shearer spekulierend, "an experiment and schematic diagram of chance" (1) sein? Duchamp selbst hatte zu Lebzeiten nicht davon abgelassen die Zufälligkeit und Unbedeutsamkeit seiner (Er-) Findung in ostentativer Gelassenheit beharrlich zu betonen. Auch wenn es sich heute um eine der zentralen Inkunabeln der Ready-made-Idee handelt, so hatte das Fahrrad-Rad, wie wir heute wissen, mit dem späteren Ready-made zunächst nur wenig gemein (2). Vielmehr sei es, so Duchamp, sowohl in der Version von 1913 als auch in jener von 1916 ein Objekt persönlicher Erbauung gewesen, "das ´gadget´ für einen Künstler in seinem Atelier (3)." Eines der diesbezüglichen, von Duchamp in diversen Interviews immer wieder bemühten Statements sei hier nochmals - in jener Version die uns Arturo Schwarz überliefert hat - in Erinnerung gerufen: "To set the wheel turning was very soothing, very comforting, a sort of opening of avenues on other things than material life of every day. I liked the idea of having a bicycle wheel in my studio. I enjoyed looking at it, just as I enjoyed looking at the flames dancing in a fireplace. It was like having a fireplace in my studio, the movement of the wheel reminded me of the movement of the flames (4)." Die Analogie zum Kaminfeuer war sicher nicht zufällig gewählt. Mit den im Kamin tanzenden Flammen benannte Duchamp ein gemeinhin nachvollziehbares Analogon für die ´kontemplative´ Wirkung, welche das sich drehende Speichenrad auf ihn, den damals ersten und einzigen Betrachter und Benutzer, ausgeübt haben soll; gleich, ob er sich dabei am ´optischen Flackern´ der Speichen oder der vermeintlichen, durch die wirkenden Fliehkräfte provozierten Instabilität der Apparatur erfreut hatte. Ob die Drehung der Felge "very soothing, very comforting (5)" oder, wie es Roland Shearer vermutet, eher "hardly relaxing (6)" ausfiel, sie gehörte ursprünglich zur Idee des Fahrrad-Rades.
Müßte es dann nicht, so ließe sich nun fragen, erlaubt sein, das Rad entsprechend der Duchamp-schen Vorgabe noch heute drehen zu dürfen, um einen Gutteil der ursprünglichen Idee aktuell zu halten? Eine angesichts der musealen Wirklichkeit freilich recht theoretisch anmutende Frage. Wer heute, sei es in Köln, Paris, Philadelphia, New York, Stockholm oder anderswo in öffentlichen Sammlungen einer der Repliken des Fahrrad-Rades begegnet, sieht sich mit tabuisierenden Verbotsschildern, exponierenden Sockeln und maßregelnden Museumswärtern konfrontiert. Es entspricht dieses nicht nur der dem Museum inhärenten paradoxen Logik durch Konservierung Geschichte erfahrbar zu machen, sondern auch dem Bedeutungswandel, welchen die Idee des Fahrrad-Rades im Laufe der Jahrzehnte durchlaufen hat. Es war das zwiespältige Verdienst von Sidney Janis anläßlich der Ausstellung "Climax in XXth Century Art" zum Jahresbeginn 1951 eine erste Replik, also die dritte Version der Roue de Bicyclette, dem Ausstellungskontext erstmals zugeführt zu haben. Damit änderte sich sowohl dessen ideeler Status als auch die dem Objekt zugeschriebene Bedeutung und Funktion. Das vormalige "gadget" wurde faktisch als designiertes Ready-made in den Kanon der Werke Duchamps erhoben. Der Künstler selbst hatte die Inszenierung der Exponate in der Ausstellung vorgenommen und die Replik des Fahrrad-Rades zu Beginn des Jahres 1951 sowohl datiert als auch signiert und somit authentifiziert und autorisiert (7).
Was wäre für den gemeinen Ausstellungsbesucher und dessen ästhetische Erfahrung gewonnen, dürfte auch dieser das Rad in einer Ausstellung drehen? Meines Wissens trat in der gesamten Ausstellungsgeschichte der verschiedenen Repliken dieser Fall nur ein einziges Mal ein. Die Wanderausstellung "Art in Motion" (ndl.: "Bewogen Beweging", dän. und schwed.: "Rörelse i Konsten") präsentierte ab dem Frühjahr 1961 mit Stationen im Stedelijk Museum, Amsterdam, dem Moderna Museet, Stockholm, und dem Louisiana Museum of Modern Art, Humblebæk, neben anderen optischen und kinetischen Kunstwerken auch ein bereits im Mai 1960 von Ulf Linde und Per Olof Ultvedt nach der Version von 1916 angefertigtes Replikat der Roue de Bicyclette. Pontus Hulten, damals Direktor des Moderna, versicherte mir, daß die Ausstellungsbesucher das Rad hätten drehen dürfen (10). Der Geist in jenen Tagen, so Hulten, sei eben ein anderer gewesen (11). Ein anderer Geist? Eher wohl die Tatsache, daß der zunächst ohne jegliche Autorisierung hergestellten Kopie nur ein geringer finanzieller Wert beigemessen werden mußte, so daß die Kuratoren Hulten und Sandberg das Wagnis einer öffentlichen Benutzbarkeit eingehen konnten ohne allzu großen Schaden fürchten zu müssen (12). Um zur gestellten Frage zurückzukommen: wenig wäre erreicht, dürfte der Betrachter das Rad in Bewegung versetzen. Ich möchte mich auf zwei Gründe beschränken. Der eine, das konservatorische Problem tangierende: Die Geschichte der partizipatorischen Kunst im 20. Jahrhundert zeigt, daß die taktil involvierten Betrachter stets entweder mit dem ihnen unterbreiteten Handlungsangebot überfordert waren oder die ihnen offerierten Erfahrungspotentiale nicht zu entfalten wußten. Allan Kaprow beispielsweise berichtete, daß die Besucher seines situationalen Environments Push and Pull - A Furniture Commedy for Hans Hofmann 1963 nicht ganz wie erhofft auf seine Offerte, die Möblierung des Environments zu verändern, reagiert hätten. Robert Rauschenbergs Black Market, in dem die Besucher Gegenstände austauschen und diesen Austausch in einer Zeichnung dokumentieren sollten, wurde 1961 bei der Ausstellung "Art in Motion" geplündert (13). Ähnlich erging es auch George Brecht bei einer Ausstellung seines Cabinet aus dem Jahre 1959 - einem Wandschrank mit diversen Alltagsgegenständen. Die intendierte, an die taktile Partizipation der Betrachter rückgekoppelte epistemologische Erfahrung wurde hier durch übereifrige Zeitgenossen, die das Cabinet ausgeräumt hatten, zunichte gemacht (14).
Duchamp selbst jedoch sollte noch einmal Gelegenheit erhalten, am Rad drehen zu dürfen. 1964 nämlich trat die Bedeutungsum- respektive -festschreibung der Roue de Bicyclette in eine vorläufig letzte Phase. Arturo Schwarz war von Duchamp autorisiert worden, neben exakten Repliken dreizehn anderer Werke auch eine Edition des Fahrrad-Rades in einer Auflage von acht plus zwei Exemplaren produzieren zu lassen. Die in den fünfziger Jahren vereinzelte Herstellung von Repliken der Roue erhielt damit eine neue Qualität und Quantität. Die Strategie nahezu identische Re-mades zur Repräsentation der Ready-made-Idee zu kreieren, mußte zwangsläufig zu Werkhaftigkeit, Authentizität, Originalität, Auratisierung, ja letztlich zur Artifiziellität führen. Jedes einzelne Exemplar der Schwarz-Edition hatte Duchamp, wie zuvor schon die durch Janis und Linde angefertigten Repliken, mit dem Menetekel der Metaphysik, der eigenhändigen Signatur versehen. Signaturen verbürgen, so sie dem Unterzeichnenden nicht gewaltsam abgepreßt werden (und hiervon ist im Falle Duchamp/Schwarz kaum auszugehen) gemeinhin den Willen ihres abwesenden Urhebers. Duchamp hatte bereitwillig sein nominelles Plazet unter die von Schwarz zur endgültigen Autorisierung vorgelegten ´Dokumente´ gesetzt. Und schon bald traten die die Ideenwelt Duchamps repräsentierenden Fahrrad-Räder ihren Siegeszug durch die internationalen Museen an - Musealisierung inklusive.
Duchamp mag in den sechziger Jahren weiterhin in New York und Neuilly gesessen und seine Zigarre schmauchend das Rad des für den Künstler vorgesehenen Belegexemplars aus der Schwarz-Edition in Rotation versetzt haben. Und dies vermutlich nicht ohne Amüsement über den Lauf der Dinge. Die museale Präsentation der multiplen Fahrrad-Räder indes stand - und steht bis heute - unter gänzlich anderen Vorzeichen. Der Museums- oder Galeriebesucher ist nicht mehr mit einem "gadget", sondern mit einem den Gedanken des Ready-mades repräsentierenden Re-made konfrontiert. Die Leichtigkeit, mit der sich das Rad für Duchamp einstmals hatte in Schwung setzten lassen, ist abgelöst worden von der Komplexität, Tragweite und Historisierung des Ready-made-Konzeptes. War es Marcel Duchamps ursprüngliche Intention gewesen, Werke zu schaffen, die keine Kunst sind, wie er 1913 notiert hatte (16) so bezeugen die Re-mades die Affirmationskraft des institutionellen Kunstbetriebes. Das sich drehende Rad der Geschichte hatte aus dem Fahrrad-Rad ein Artefakt werden lassen. Reziprok dazu hatte letzteres seinen Schwung eingebüßt.
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